Vorlauf

Lutz Dammbeck
ZEIT DER GÖTTER 1988 - 1994

1981 machte ich einen Experimentalfilm mit dem Titel HOMMAGE À LA SARRAZ, eine Reminiszenz an das Treffen der europäischen Filmavantgarde in den 20er Jahren auf Schloss La Sarraz in der Schweiz. Dort trafen sich die Deutschen Hans Richter und Walter Ruttmann mit den revolutionären Russen Sergej Eisenstein und Eduard Tisse und anderen Avantgardekünstlern des Westens wie Alberto Cavalcanti, Luis Buñuel, Léon Moussinac und Ivor Montagu. Gemeinsam schauten sich Filmemacher und die anwesenden Kritiker wie Béla Balász die neuesten Produktionen an: „Der andalusische Hund“ von Buñuel und Salvador Dalí, „Die Passion der heiligen Johanna“ von Carl Theodor Dreyer und auch Eisensteins „Das Alte und das Neue“. An Ort und Stelle, dem Schloss einer Schweizer Mäzenatin, gründeten die Teilnehmer des Treffens die 1.Internationale des Unabhängigen Films “Zur Verteidigung der Filmkunst gegen kommerzielle und ideologische Zwänge“. Das erschien mir in der DDR (wie später in Hamburg und bis heute immer noch) als eine herrliche Utopie. Später ergänzte ich in meinen Mediencollagen aus Film, Malerei und Tanz diese Utopie mit einer Kunstfigur, dem Eigensinnigen Kind aus dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm, das in seinem Beharren auf eigenem Sinn sich dem „Willen zur Vollendung“ ganzheitlicher und totalitärer Weltbeglückungsphantasien verweigerte.

Als Gegenbilder zu diesem Antihelden verwandte ich unter anderem auch Projektionen von Kunstwerken aus der Zeit des Nationalsozialismus, als ironisches Element und Provokation zugleich.
Während der Vorführungen geschah nun Seltsames. Teile des jungen, dem Experiment aufgeschlossenen und eher linken Szenepublikums empfanden die Projektionen der Figuren von Breker und Thorak als positiv besetzt, hielten sie für griechisch-klassische Kunst und durchkreuzten so meine „Besetzungsabsichten“. Es schien in diesen Figuren und in diesem Bildprogramm etwas zu geben, das wirkte, „funktionierte“, auch über die Historie und die Rumpelkammer der Kunstgeschichte, in der ich diese Kunst eigentlich sah, hinaus.
Bei der Materialsuche für die Aufführungen stieß ich 1983 im „Giftzimmer“ der Deutschen Bücherei in Leipzig auch auf eine Mappe mit Bildhauerzeichnungen Brekers, die mich irritierte. Diese Zeichnungen passten nicht zu den mir bis dahin bekannten Arbeiten Brekers, etwas war da passiert.
Breker war in den 20er Jahren eine der großen Hoffnungen deutscher Bildhauerei. Wo war der Punkt, wo das umkippte? Wann gerät ein Talent in die Abhängigkeit von Macht oder einer Ideologie? Und wo verläuft heute die feine, unsichtbare Grenze zwischen Machtopportunismus und „Autonomie der Kunst“?

Aktueller Anstoß einen Film über Breker zu machen, war aber die zur gleichen Zeit von dem Plakatkünstler Klaus Staeck gegen den Kunstsammler Peter Ludwig initiierte Polemik und Kampagne. Ludwig hatte bei Breker zwei Porträtbüsten bestellt und diese in seinem Privatraum im Kölner Museum Ludwig aufgestellt. Dadurch trat Breker wieder in mein Blickfeld. Ich war gerade dabei, mich aus den sozialen Niederungen nach der Übersiedlung von Leipzig nach Hamburg rauszuwinden und suchte nach Themen für einen neuen Film.
Schon während der ersten Vorarbeiten und Recherchen war mir klar geworden, dass Breker nur der Anlass und Einstieg in eine mir bis dahin völlig unbekannte Welt sein konnte, in ein zunächst völlig desperat erscheinendes Netzwerk von Namen und Begriffen wie Hausenstein, Jünger, Heroischer Realismus und Werner Best, Maillol, Despiau, Cocteau, Marais, Dalí, Drieu la Rochelle, Rahn, Hedin, Céline, Pound, Haushofer, George-Kreis, Schuler, Klages, Münchner Kosmiker, Rosenberg, Artamanen, Freideutscher Jugendtag, Himmler und, und und, was mehr als verwirrend war. Literatur, die mir half, die Namen (und mich selbst) zu verorten, waren u.a. die Bücher und Studien von Werner Maser, Leon Poliakov und Josef Wulf Das Dritte Reich und seine Denker, oder Michael Katers Buch über das SS-Amt Ahnenerbe, darüber hinaus viele Recherchen im Bundesarchiv, z.B. zu den Tibetexpeditionen der SS. Ich entdeckte erstaunt, dass es in den zwölf Jahren Nationalsozialismus in Deutschland ein wissenschaftlich-künstlerisches Leben gegeben hatte, dass nicht alle Wissenschaftler oder Intellektuellen emigriert waren und der Nationalsozialismus anscheinend nur die politische Zuspitzung und radikale Überformung von intellektuellen Strömungen gewesen war, die sich lange davor ausgebildet hatten.
Dieses unbegreifliche Nebeneinander in der NS-Zeit – etwa Swingbewegung und Rosenberg-Propaganda, Faulkner-Lektüre und Massenaufmärsche, Otto Rahn und atalantinische Mathematik, Thule Gesellschaft und Raketenbau, diese Melange aus Terror, Hybris, Schizophrenie, gespaltenem Bewusstsein bei gleichzeitiger Überlebenssicherung in einer Diktatur interessierte und irritierte mich gleichermaßen. In dieser Gemengelage verortete ich Breker und seine Kunst und versuchte so, Licht in das Dunkel seiner ästhetischen wie konzeptionellen Motive zu bringen.

So begann ich eine ethnografisch-anthropologische Expedition in mir bis dahin unbekannte Landschaften vorzubereiten, in reale wie geistige. Aber diese Expedition führte mich auch hin zu reichen Leuten mit Einfluss und viel Geld (Gerling, Ludwig), und in Grenzbereiche wie die der Esoterik und des "Geheimen Deutschland" des George-Kreises. Das war spannend und erschien mir zeitweise wie ein See, dessen Oberfläche sich kräuselt, Wellen bildet, obwohl weder Wind noch irgendwelche andere Ursachen dafür erkennbar sind. Zeitweise war es auch ein bisschen unheimlich, und erschien mir gefährlich wie gefährdend zugleich. Es war wie bei Agententreffs im Film: man wartet, aber es kommt niemand, und dann geht man wieder nach Hause. Und man weiß nicht: war da etwas, oder war man zur falschen Zeit da, war man für jemand gehalten worden der man gar nicht war und alles nur ein gegenseitiges Missverständnis?

Bis Mitte 1989 war mein Projekt, einen Film über Breker zu machen, von sechs Filmförderungsgremien abgelehnt worden. Eine Begründung erhielt ich nicht, auf Nachfragen erfolgte stets ein unbestimmtes, zögerliches Grummeln, das Unbehagen und den leisen Vorwurf ausdrückte: „Über Breker und Nazikunst macht man doch keinen Film.“
Der WDR teilte mir bedauernd mit, einen Film über Breker wolle man nicht wagen, da man wisse, dass diese Kunst vielen Leuten gefalle und man schon die vielen zustimmenden Zuschriften zur Kunst Brekers vor sich sehe.
Das ZDF konnte sich nicht vorstellen, wie man von Breker und seinem Umfeld etwas erfahren könne, ohne sich zu kompromittieren, denn man könne Breker und seine Kunst ja nicht „normal“ vorzeigen. Der SWF in Baden-Baden hielt sich noch bedeckt und wartete auf ein Signal von La Sept in Paris. Dort wurde das Projekt nach einer Woche heftiger Diskussionen in der Redaktion gekippt. Ein Redakteur in meinem Alter hatte sich auf seine jüdische Abstammung berufen und der Redaktion ein Ultimatum gestellt: Er oder ein Film über Breker. La Sept bot mir dann (als Ausgleich) eine Beteiligung am Kinderfilm HERZOG ERNST an, an dem ich parallel arbeitete.
Breker selbst war nach meinem ersten Besuch in Düsseldorf nicht mehr zu erreichen, seine Frau blockte jeden weiteren Kontakt ab. Brekers Galerist, der Journalist Joe F. Bodenstein aus Bonn, teilte mir telefonisch mit, einen Film über das Werk und Leben des „Meisters“, der über eine Konzeption hinausgehe, die Brekers Plastiken auf einer drehenden Scheibe unterlegt mit klassischer Musik präsentiere, habe ohnehin bei Brekers Management keine Chance. „Das WOLLEN wir nicht, lieber Herr Dammbeck.“

November 1989, die Mauer fällt Das traf uns unerwartet. Spontan und kurz schoss ein Gefühl von „fahren wir gleich nachts noch von Hamburg nach Berlin...“ in uns auf. Dann, noch beim Suchen nach den Autoschlüsseln, stellte sich schnell die Ernüchterung ein: Jetzt wird vieles, was man zurückließ, wiederkehren. Am schnellsten wahrscheinlich das, weswegen man die DDR verließ. Aber: die Biografie war wieder komplett. Und: Ende der Einreisesperre. Ich konnte versuchen, wieder an die in der DDR zurückgelassenen Materialien heranzukommen.
Und: Rettung des schon ausweglos verlorenen scheinenden Projekts eines Films über Breker. Denn plötzlich saß auch ein Ostler im Gremium der Hamburger Filmförderung. Der kannte mich und stimmte für meinen Förderantrag. Das wurde von den anderen Gremiumsmitgliedern kopfschüttelnd akzeptiert.
(Bei der ersten Testvorführung des Films schliefen die Chefs der Hamburger Filmförderung dann mitten im Film ein und verließen nach Filmende wort- und grußlos den Raum.)

Zwei Tage später Recherchereise zum sowjetischen Sportplatz in Eberswalde, auf dem mehrere Brekerfiguren stehen sollten. Fahrt über Leipzig, die vertraute Zugeinfahrt, den Kopf voller unbestimmter Erwartungen und Erinnerungen. Kurzer Besuch der Dokumentarfilmwoche. Die Bilder und Eindrücke in der Stadt und im Kino schnürten mir den Hals ab. Schmerzen. Da, in diesem zerstörten, dunklen, grauen Land hast du so lange gelebt. Die Leute taten mir körperlich leid, wie konnte man Menschen so leben lassen. Ehemalige Kollegen verlasen auf der Bühne des Kinos Capitol eine Petition: Rettet die DDR, für unser Land. Eine einzige Schleimerei, ekelhaft.
Schnell wuchs in mir eine vorher unvorstellbare Distanz. Bei allen spontanen Begegnungen blieb ein Würgen im Hals, nichts stimmte mehr, kein Lächeln, keine Umarmung gelang, alles verrutschte. Bei vielen Begegnungen wurde ich als „Westler“ behandelt, eine Rolle, auf die ich nicht vorbereitet war, die ich nicht ausfüllen konnte und wollte. Auf dem Platz vor der Oper fand die aus dem Fernsehen bekannte „ Montagsdemonstration“ statt. Die Kollegen aus Hamburg vom Medienzentum griffen sich an den Kopf und krümmten sich angewidert vor Ekel. Der Ruf nach dem Staat, den sie sich angewöhnt hatten zu verachten, machte ihnen Angst. Im Café erklärte die freundliche Kellnerin später den verdutzten Linken, alle Kommunisten gehörten an die Wand gestellt und mit dem Maschinengewehr erschossen: „Thiese Forprescher!“
Am nächsten Tag flüchtete ich aus der Verwirrung zurück nach Westberlin. Von dort fuhr ich nach Eberswalde zum Sportplatz der dort stationierten sowjetischen Garnison. Die Figuren Thoraks und Brekers waren verschwunden. Nach Angaben der sowjetischen Presseoffiziere wurden die Figuren vor etwa einem halben Jahr von Unbekannten abgeholt. Ein Ostberliner Jungfilmer, so hieß es in Berlin, sollte noch zu DDR-Zeiten 8mm-Aufnahmen von den Figuren gemacht haben. Inzwischen hatte der SWF eine Minimalbeteiligung, die den Sender fast nichts kostet, zugesagt. Aber es gab einen Sendeplatz. Die Finanzierung des Films lief nun an, die Chancen für eine Realisierung waren gestiegen.

Noch November 1989 Eine befreundete Kunsthistorikerin aus Dresden war nun in Berlin Staatssekretärin im Kulturministerium für die ostdeutschen Bundesländer. Ich bat Sie um ein Gespräch in der Hoffnung, nun besser an die mir bisher verschlossenen Staatsarchive der DDR zu kommen. „Ja, kein Problem“, sagte Sie, „aber wie kann ich dir noch helfen?“ „Na, mit Geld.“ „Wieviel?“ „Oh Gott, na so 100.000,00 DM?“ „Kein Problem, lass uns den soeben ernannten Staatsekretär für Film anrufen, der sitzt im Zimmer am Ende des Flurs und mit ihm alles klar machen.“ Die Kunsthistorikerin gab mir auch die Telefonnummer einer ihrer neuen Bekannten, einem Beamten in Bonn im Bundespresseamt. Der sei nett und kenne auch die Familie Brekers gut, vielleicht könne der was für mich tun.
Fahrt nach Bonn ins Bundespresseamt. Mein Gesprächspartner war Leiter der Presseabteilung Inland der Bundesregierung. Kahles Büro, weißes Hemd, Brille, prüfender kühler Blick. Ich trug mein Konzept vor. Könne er mir helfen, die Familie Brekers zu einem Interview zu bewegen? Er fragt mich: „Was gefällt Ihnen denn an Brekers Kunst?“ Eine Fangfrage. „Oh, Gott! Mich interessiert die Biografie als Fallstudie“, sagte ich, „auch das Frühwerk.“
Er öffnete kommentarlos zwei Schubladen in seinem Schreibtisch und nahm (offenbar vorbereitet) aus der linken Schublade eine Kunstpostkarte mit der Jüngerbüste von Breker hervor und aus der rechten Schublade eine Reproduktion des Tübke-Panoramabildes in Frankenhausen.
Er warf beides auf den Tisch vor mich hin und fragte: „Ist das etwa keine gute Kunst mehr, wenn sich die politischen Bedingungen ändern?“ Ich blickte stumm und ratlos auf das Bildprogramm, das er vor mir ausgebreitet hatte und das für ihn anscheinend eine Einheit bildete. Ihm schien meine Sprachlosigkeit zu gefallen. Er wolle versuchen, bei der Familie Breker für mein Projekt zu intervenieren, sehe aber keine großen Chancen. Über Breker und die Familie sei zuviel Unrat ausgekübelt worden, das müsse ich verstehen, „die wollen nicht mehr.“ Er sprach dann stolz von dem Coup, der ihm mit dem Besuch von Kohl und Mitterand bei Ernst Jünger gelungen sei. Das sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, den Franzosen das „beizubiegen“.
Als ich wieder auf der kleinen, stillen Straße vor dem Ministerium stand, hatte ich das  Gefühl, einen Slalom absolviert zu haben. Wie oft ich dabei touchiert hatte, würde sich in den nächsten Wochen zeigen.

In der Altstadt von Prag, in der Plastiken und Skulpturen allgegenwärtig sind, wächst Anfang dieses Jahrhunderts ein junger Mann heran, der Bildhauer werden will. Nach dem Studium geht er 1927 nach Paris und lernt dort den Kubismus und die Künstler der Moderne kennen. Nach dem 2.Weltkrieg kehrt er in seine Heimatstadt zurück und wird Minister der schönen Künste. Er erhält den Auftrag für ein Monument, das die Ideale des neuen Staates repräsentieren soll. Von nun an denkt er nur noch an dieses Monument, das zu seiner Lebensaufgabe wird: Das größte Stalindenkmal Europas. Er sieht sich als Erbe aller Bildhauer in der Geschichte seines Landes. Doch, als er seine Arbeit beendet hat, erkennt er, dass er gescheitert ist. Dass er die künstlerischen Ideale seiner Jugend an diese Macht verraten hat, ja, dass er ein Verbrechen begangen hat. Der Anblick des Denkmals verfolgt ihn nun überall hin, so dass er es am Ende nicht mehr ertragen kann, und sich das Leben nimmt.
(Aus: ZEIT DER GÖTTER, Kommentartext frei nach dem Buch von Elsa Triolet „Le Monument“)

Januar 1990 In Paris recherchierte in meinem Auftrag der Schriftsteller und Bohemien H.P. Litscher für den Film. Er war einige Jahre Assistent von Hans-Jürgen Syberberg in München gewesen. In der Studiokantine habe es damals immer zwei Tische gegeben, den von Syberberg und den von Fassbinder. Am Tisch von Fassbinder sei es lustiger zugegangen. Bald schickte er mir per Fax erste Ergebnisse seiner Recherchen wie diese: "Habe Madame Vierny (das ehemalige Modell Maillols) endlich telefonisch erreicht. Auf Maillol angesprochen, hat sich Frau Vierny auf höchst aggressive Art und Weise darauf berufen, alle das Werk Maillols betreffenden Abbildungs- und Werkrechte zu haben. Die Frage nach einem Gespräch am folgenden Tag wurde verneint. Sie sei aber in Zukunft gern bereit, falls wir sie früh genug über einen erneuten Besuch des „deutschen Cineasten“ benachrichtigten (und falls sie dann wegen Maillol-Expertisen nicht in New York oder anderswo sei), sich mit Herrn Dammbeck über sein Projekt zu unterhalten. Auch über das Heinrich-Heine-Denkmal von Maillol in Düsseldorf, das Breker in den 60er Jahren initiiert und für das sie Modell gestanden habe. Madame Vierny habe sich, als das Buch von Monsieur Damase über Breker in Paris erschien, nur zurückhaltend öffentlich über Breker geäußert, habe dann aber zugegeben, dass Breker sie vor der Gestapo gerettet habe."

Von einem Freund, einem jungen Maler aus Köln, bekam ich die Empfehlung, einen Kunsthistoriker im Landesmuseum Düsseldorf zu kontaktieren, der dort stellvertretenden Leiter der Graphischen Sammlung war. Der Kunsthistoriker hatte Breker mehrfach in seinem Haus in Düsseldorf besucht. Brekers Tochter, die Kunstgeschichte studierte und nun über Maillol promovierte, hatte bei Ihm ein Volontariat gemacht.
Das Gespräch war interessant, die freundliche Atmosphäre verleitete mich zu erzählen, dass mich auch die esoterischen Aspekte von Brekers Werk und Biografie interessieren würden und dass ich im Anschluss ein Gespräch mit Hans Gerling in Köln hätte.
(Anmerkung: Der Chef des Gerling-Konzerns in Köln, Hans Gerling, kannte Breker schon aus seiner Jugendzeit aus Elberfeld. Elberfeld war Anfang dieses Jahrhunderts ein Zentrum von Jugend- und Reformbewegung und u.a. Gründungsort einer der ersten theosophischen Logen Deutschlands. Breker hatte u.a. auch eine Porträtbüste von Gerlings Vater gemacht. 1949/50 begannen die Arbeiten am größten Baudenkmal der Nachkriegszeit in Köln, dem Gerling-Konzern. Das sollte ein „Zeichen für den Neubeginn“ sein. Bauherr war Hans Gerling, künstlerischer Berater und Schöpfer vieler Bauplastiken sein Schulfreund aus Elberfeld, Arno Breker.
Breker war 1950 im Spruchkammerverfahren als „Mitläufer“ eingestuft worden und nach Düsseldorf zurückgekehrt. Planender Architekt war zunächst Helmut Hentrich, ein Schüler von Hans Poelzig und sein Partner Hubert Petschnig. Nach Spannungen trennten sich die Architekten vom Bauherren und die weiteren Planungen übernahm die Bauabteilung des Gerling-Konzerns selbst. Arno Breker blieb künstlerischer Berater Gerlings, mit dem er die Liebe zu Griechenland und zum Neoklassizismus teilte, was sich in der Gestaltung des Neubaus niederschlug. Gerling erwarb in der Folgezeit auch mehrere Figuren Brekers für seine private Sammlung. Am 26.9.1958 wurde der Neubau eröffnet. Siehe dazu auch: Hiltrud Kier: Der Gerling-Konzern in Köln.)

Anschließend fuhr ich mit der S-Bahn von Düsseldorf nach Köln zurück zum Termin mit Hans Gerling. In der Chefetage des Konzerns empfing mich statt dem Konzernchef Hans Gerling aber nur der leitende Geschäftsführer und teilte mir mit, Herr Gerling müsse das Gespräch und die zugesagte Mitwirkung im Film auf Wunsch von Frau Breker leider absagen, auch Aufnahmen in und außerhalb der Konzerngebäude seien unerwünscht. Ich war überrascht. Woher wusste Frau Breker von meinem Termin im Museum in Düsseldorf, denn das erschien mir die einzige Erklärung für die Absage des Gesprächstermins? Seit meinem Gespräch dort waren nur 45 Minuten vergangen.
Benommen und verwirrt verließ ich das Gebäude. Wie ferngesteuert lief ich über die Rheinbrücke zu den Messehallen am anderen Rheinufer, in denen die Westdeutsche Antiquitäten- und Kunstmesse stattfand. Beim ziellosen Treibenlassen durch die Hallen stand ich plötzlich vor dem Stand der Galerie Marco und vor Brekers Galerist Joe F. Bodenstein.
„Na, Sie Unglücksrabe“, rief dieser mir gutgelaunt entgegen, wobei er sich von einem seiner zwei thailändisch aussehenden Adoptivsöhne eine Praline in den Mund stecken ließ, „Herr Dammbeck, Sie reden zuviel. Gehen Sie hin, machen Sie Ihre Aufnahmen, verschwinden Sie wieder und vor allem, erzählen Sie niemandem davon.“ Er schien über den Ablauf der letzten anderthalb Stunden informiert zu sein. Woher wusste er, was in Düsseldorf vor etwa einer Stunde passiert war?

Zurück in Hamburg rief ich den jungen Maler in Köln an und schilderte ihm das für mich rätselhafte Geschehen. Denn er war es gewesen, der für mich den Termin mit Hans Gerling arrangiert hatte, da er mit dem Sohn des Geschäftsführers gut befreundet war, der Moderator einer Krawall-Show bei RTL war.
Zwei Tage später rief der Maler zurück. Er solle mir ausrichten, man habe den Eindruck, ich interessiere mich zuviel für Hintergründe und Zusammenhänge und zu wenig für das „Künstlerische“. Ich sei zu journalistisch interessiert. Ich war überrascht. Wer war „man“, und wieso sollte er mir etwas ausrichten? Wen hatte er kontaktiert? Das klang alles nach Geheimnis und unsichtbarer Gegenwelt. Der Maler war erstaunt. Wieso, wisse ich den nicht...?! Was? Ach, er dachte... „Gut, ich will versuchen Dir das zu erklären, aber nicht am Telefon, Du musst nach Köln kommen.“ Vier Stunden später saß ich an seinem Küchentisch und hörte mir mit zunehmender Verwunderung, die mich einerseits irritierten, die mir aber andererseits aus dem Osten bekannt erschienen. Geschichten von der Karriere geschuldetem Opportunismus, Geheimnistuerei und Verrat. „Nun“, erzählte der Maler, er sei halt initiiert, wie Breker, Gerling und viele andere auch. Das sei nicht ungefährlich, aber er sei ja nicht der einzige Künstler, „guck Dir doch mal die Bilder bestimmter Maler an, da ist das doch alles deutlich zu erkennen.“ Er nannte Namen. Das irritierte mich: war die „freie“ Kunst einiger geschätzter aktueller und historischer „Meister der Moderne“ nicht mehr als Traktatmalerei? Also Gebrauchskunst für ideologische „Votiv- und Heiligenbildchen“, mit welchen Vorzeichen auch immer? Tja, sagte der Maler, das Unglaubliche sei nun mal der beste Schutz des Klandestinen. Er wisse von geheimen Bibliotheken und für die Karriere seien solche Mitgliedschaften durchaus von Vorteil. „Beschäftige Dich doch mal bisschen mit der Gnosis.“ Viel mehr könne er mir aber nicht verraten, denn das sei nicht ungefährlich und „die“ verstehen keinen Spaß. Das hätten schon etliche Ehefrauen erfahren müssen, die durch rätselhafte Unfälle ums Leben gekommen seien, nachdem ihre Männer geplaudert häatten.

Die geheimnisvoll dargebotene „Enthüllung“ erschien mir banal. Männerbünde, Herrschaftswissen, strukturiert und zusammengehalten von „wissender“ Weltanschauung, das war doch nichts Neues, so etwas hatte es im Osten auch gegeben. Ich musste an Sascha Anderson und Heiner Müller denken. Wie sie sich wohl gefühlt hatten, nach ihren Treffen mit den jeweiligen Verbindungsoffizieren der Stasi? Wie sie beim Anblick des normalen Volks möglicherweise dachten: "Ihr Idioten, wenn ihr wüsstet was ich weiß!" Kann man so ein Wissen genießen, als Überlegenheits- und Auserwähltheitsphantasie? Wahrscheinlich.
Hans Peter Litscher, den ich danach fragte, sah es prosaischer. Für ihn war die Loge der geeignete Ort, um einen Restposten überlanger Hosen loszuwerden. Aber dennoch: diese klandestine „Gegenwelt“, von der schon Büchner in seinem „Danton“ sprach und der auch der Weimarer Geheimrat und Großschriftsteller angehörte, dessen Verpflichtungserklärung im Illuminatenorden in sowjetischen Archiven gefunden wurde, faszinierte mich
(Anmerkung: Himmler fiel Goethes Verpflichtungserklärung angeblich bei der Auflösung verschiedener Archive im Zuge des NS- Kampfs gegen die Freimaurer in die Hände und ließ sie im SS-Amt „Ahnenerbe“ deponieren. Dort wurde sie 1945 von sowjetischen Truppen übernommen und in Moskau verwahrt.). Wie konnte ich etwas von dem sichtbar machen, von dem es anscheinend wenig oder gar nichts Sichtbares gab?

Juli 1990 Ich erhielt eine Meldung der noch existierenden DDR-Nachrichtenagentur ADN: „Am 16.Juli 1990 wurden vier gut erhaltene Statuen aus der Kunstsammlung von Hermann Göring aus dem Großen Döllnsee in der Schorfheide geborgen. Die Bergung erfolgte auf Anordnung des neuen Innenministers der DDR, Michael Diestel, durch Beamte des ‚Gemeinsamen Landeskriminalamts der fünf neuen Bundesländer‘.“ Die Figuren wurden danach in einer Garage der ehemaligen Stasi-Hauptabteilung IX in Berlin-Hohenschönhausen abgestellt, der zu einem Gebäudekomplex gehörte, der zuvor auch als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge gedient hatte. Mit einem der ehemaligen DDR-Kriminalbeamten fand nun dort der erste Dreh für den Film statt.

April 1991 Altlangsow bei Berlin Fahrt mit dem Teambus von Berlin zu dem Bildhauer Werner Stötzer. Den Termin hatte Horst Engelhard vermittelt, ein ehemaliger Meisterschüler bei Stötzer an der Akademie der Künste der DDR, der nun im ehemaligen Breker-Atelier in Jäckelsbruch lebt und arbeitet.
Während der Fahrt las ich in der Bild am Sonntag: Ben Wargin pflanzt auf den Seelower Höhen das „Friedensparlament der Bäume“, Schirmherr ist Manfred Stolpe. Spontane Änderung der Reiseroute in der Hoffnung, dort auch Peter-Michael Diestel zu treffen, den ehemaligen Body-Builder und jetzigen Innenminister der DDR. Die Familie Brekers wollte über Diestel versuchen, wieder in den Besitz der im Großen Dölllnsee gefundenen Breker-Skulpturen zu gelangen, hatte mir Brekers Galerist erzählt. Diestel selbst hoffte, von Breker noch porträtiert zu werden, was durch dessen Tod nun ausfällt. Diestel war wohl auf der langen Liste mit den Vorbestellungen für eine Porträtbüste die Nummer 13, nach Alain Delon. Ein Interview mit Diestel für meinen Film wäre gut.
Auf den Seelower Höhen spielte eine sowjetische Militärkapelle. Versammelt war ein Häuflein Regionalpolitiker und viel Presse – aber kein Diestel. Deshalb sofort Weiterfahrt zu Werner Stötzer.
In Altlangsow war in der Scheune neben Stötzers Haus soeben ein Empfang mit großem Buffet zu Ehren des „Friedensparlaments der Bäume“ zu Ende gegangen. Stötzer, leicht angeheitert, berichtete stolz, „mit Stolpe einiges geklärt zu haben.“ „Wie früher“, setzte er lachend hinzu, „nur da war es der Keller“. (Anmerkung: Dietmar Keller war letzter amtierender Kulturminister der DDR, vormals in Leipzig bei der SED-Bezirksleitung für die Kultur zuständig, dann Mitglied der PDS und Bundestagsabgeordneter, 2002 Austritt aus der PDS).
„Greift zu, Männer“, animierte Stötzer in seinem weichen Thüringer Dialekt und stellte Reste des vorhergegangenen Buffets auf den Tisch. Auf Silberfolien wellten sich pappige Brötchen mit aufgerollten Wursträndern. Stötzer stellte Wein auf den Tisch.
Nach ein paar Minuten des Abtastens erhielt das Gespräch unversehens schärfere Konturen, und wurde auf beiden Seiten aggressiver. Schneller Aufbau der Kamera, um diese Stimmung festzuhalten. Die einzige Lichtquelle war die über dem Küchentisch baumelnde Lampe – drehen. Stötzer war jetzt hellwach und konzentriert, offenbar auch vorbereitet. Die anfängliche leicht sentimentale Trunkenheit war verflogen. Im Gespräch kokettierte er damit, dass er von „den neuen Herren“ verfolgt würde: „...das Kapital will mich und meine Kunst vom Marx-Engels-Platz vertreiben...“ (Anmerkung: Stötzer gestaltete mit seinem Assistenten Horst Engelhard eine Reliefwand, die in das Gesamtensemble des Marx-Engels-Denkmals integriert wurde, über dessen Verbleib oder Abriss es zu der Zeit Diskussionen gab).
Während die Kamera lief, wurde zügig weiter getrunken. Die Atmosphäre hatte bei aller Polemik auch etwas Offenes, Ungeklärtes, begünstigt durch den Zeitpunkt, an dem ich mit Stötzer sprach. Die DDR war verblichen, etwas Neues war für ihn noch nicht greifbar, meine Rolle und eventuellen Einfluss konnte er nicht einschätzen. Die Frage für ihn war: würde er der bekannte, abgesichert lebende und arbeitende Künstler bleiben? Oder ging es ihm nun als einem ehemaligen „Staats- und Parteigünstling“ der DDR an den Kragen? War der dicke Katalog, der soeben im DuMont-Verlag erschienen war und den er nun stolz vor uns auf dem Tisch aufgeblättert hatte, ein verlässliches Zeichen, dass (im Westen) an ihm festgehalten wurde? Diese Ungewissheit machte das Interview offen und interessant.

1989 endete in Osteuropa, was 1789 mit der Französischen Revolution begann. 200 Jahre waren eine kurze Zeitspanne, um die Vision von der Gleichheit des Menschen zu verwirklichen. Breker dagegen schien für eine andere Vision gearbeitet zu haben. Etwas viel Älteres, auch Mächtigeres, dessen Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichten. Nicht immer sichtbar, aber immer dagewesen. Diese Vision begann mich nun mehr und mehr zu interessieren. Dem wollte ich nun nachgehen. Brekers Werk und Biografie schienen mir dafür ein Schlüssel zu sein.
(Aus: Kommentartext ZEIT DER GÖTTER)

Noch April 1991 Fax von H.P. Litscher aus Paris: "Habe mit Georges Rudier, dem Bronzegießer Brekers in Paris, lange telefonisch gesprochen. Rudier hat von seinem Onkel Alexis gesprochen, der die 2,30m großen Statuen für das Berliner Olympiastadion gegossen habe (dixit Rudier). Die Statuen seien 1945 von der Stadt Paris konfisziert worden. Er hätte sie damals zum Metallkilopreis aufkaufen können, was er aber nicht gemacht habe. Sein Onkel Alexis habe während der deutschen Besatzung die Wahl gehabt, Kanonen für die Wehrmacht oder Statuen für Breker herzustellen. Er habe das letztere vorgezogen. Gießerei „Halogon“: Habe gestern dank Herrn Rudier herausgefunden, dass die Gießerei HALOGON weder eine Gießerei ist noch „Halogon“ heißt. Es handele sich um eine Gipsformerei (Mouleur de Platre), die „Haligon“ heiße. Dank dem Minitel habe ich dann Adresse und Telefonnummer herausgefunden.
Habe mich zuerst mit dem Sohn unterhalten und dann mit dem Vater. Dieser war grundsätzlich damit einverstanden, einen deutschen Filmemacher zu sprechen, der einen Film über Breker vorbereitet. Er bitte aber, früh genug von einem Gesprächstermin unterrichtet zu werden und werde nur Fragen zu handwerklichen Aspekten der Zusammenarbeit mit Breker akzeptieren."

Noch April 1991 Der Galerist Brekers, Joe F. Bodenstein, machte mich per Fax „darauf aufmerksam, dass Prof. Arno Breker Gedichte des jungen Thüringer Dichters Rolf Schilling illustriert hat“. Die Adresse Schillings und Informationen zur Vita des mir bis dahin unbekannten DDR-Dichters erhalte ich von dem Ostberliner Lyriker Schedlinski, dessen IM-Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt ist. Also: Fahrt in den Harz nach Bielen, dem Wohnort Schillings.

Mai 1991, Hamburg Anruf von Oberstleutnant Matrjanow, dem Presseoffizier des Stabs der Westgruppe der Roten Armee in der ehemaligen DDR. Drei Monate waren nach der ersten Kontaktaufnahme und der Bitte um eine Drehgenehmigung auf dem Sportplatz der 4. Garde Panzerdivision in Eberswalde vergangen, wo Figuren Brekers, Thoraks und andere Künstler als Trophäen aufgestellt waren. Die sowjetische Armee bereitete nun ihren Abzug vor, und ich bekam nun doch eine Drehgenehmigung für ein Interview im Haus der Offiziere und Aufnahmen auf dem Sportplatz. Eine Flasche schottischer Whisky wäre kein Fehler als Präsent für seinen Chef, merkt der Presseoffizier noch an.

Noch Mai 1991 Perigny sur Yerres, in der Nähe von Paris. Erster Besuch bei Herrn Haligon. Die Familie betrieb über mehrere Generationen eine Werkstatt, in der Modelle von Bildhauern vergrößert bzw. verkleinert wurden. Dies geschah mit einer Art Panthografen, den schon Rodin und Bourdelle in Anspruch nahmen. Breker kaufte 1941 mehrere dieser komplizierten Maschinen und eine Mannschaft Bedienungspersonal ein, um in großem Tempo die Reliefs für den Triumphbogen der Nord-Süd-Achse in Berlin fertigzustellen, wie uns Herr Haligon erklärte.
Der Großvater von Herrn Haligon arbeitete auch für Breker und bekam wie der Bronzegießer Rudier nach 1945 deshalb große Schwierigkeiten in Frankreich. Im Vorhof der Werkstatt standen für den Abtransport verpackte große Figuren von Niki St. Phalle.
Obwohl wir angemeldet waren, hatte der Meister plötzlich leider keine Zeit, weiter mit uns zu sprechen und wollte sich verabschieden. Er müsse morgen nach Amerika fahren und zu den Ereignissen vor 1945 werde er ohnehin nichts sagen. Im Übrigen sei alles Geschäftsgeheimnis, seine Kunden wünschten keine Aufnahmen in der Werkstatt.
Als ich zufällig auf einem Hochregal in einer Reihe verstaubter Gipse den Kopf des Sammlers Ludwig entdeckte (Brekers Büste von Ludwig wurde bei Haligon auf das Doppelte vergrößert) und beiläufig erwähnte, dass wir schon bei Ludwig gedreht haben, wurde er freundlicher und zog nach Minuten des Hin- und Hers einen weißen Kittel an und zeigte uns das technische Verfahren des Vergrößerns. Augenscheinlich war er auch für unseren Besuch, prophylaktisch, beim Friseur gewesen. Ein kleiner, pfiffiger Franzose, der gesprächiger wurde als er merkte, dass das von ihm befürchtete Verhör mit Fragen nach Kollaboration und Schuld ausblieben. Es wird neue Brekers geben, sagte er zum Abschied lächelnd, und auch die werden wir bedienen.

„Junger Mann, ab heute arbeiten Sie nur noch für mich“, hatte der Führer Deutschlands zu dem jungen Bildhauer gesagt. Was würde er in Auftrag geben, bei seinem neuen Phidias?
Weltenwende war ein Thema, das in Hitlers Gesprächen immer wieder anklang. Der Mensch befinde sich in einer ungeheuren Wandlung, die Schöpfung sei noch nicht zu Ende und eine neue Spielart Mensch beginne sich abzuzeichnen. Der Mensch werde Gott und müsse über seine Grenzen ewig hinausstreben, sonst verkümmere er und werde Halbtier. Götter und Tiere, so stehe die Welt vor uns. Der Nationalsozialismus, so Hitler, sei aber mehr noch als politische Bewegung oder Religion: Er sei der Wille zur Menschenneuschöpfung.
1918 wird in München die Thule-Gesellschaft gegründet, eine als Orden strukturierte Geheimgesellschaft, genannt nach der so genannten Urheimat der Arier, dem versunkenen Kontinent Thule. Hier und im Umfeld der Thule-Gesellschaft treffen Personen zusammen, die später im Dritten Reich maßgeblich an dem Versuch dieser Menschenneuschöpfung beteiligt sind:  der Geopolitiker Karl Haushofer, sein Schüler Rudolf Heß, Alfred Rosenberg, Dietrich Eckart und sein Zögling, Adolf Hitler. In der Thule-Gesellschaft bündelt sich, was schon lange zuvor in völkischen Bünden und Logen virulent ist: Rassistischer Antisemitismus, theosophische Mystik und Ariosophie. Nach einem der Ariosophen, dem Neutempler Lanz von Liebenfels, ist es die schicksalhafte Sendung der Arier, die Erlösung der Welt zu vollenden: Durch die Schaffung eines weltweiten Gottesstaates PANARIEN unter dem alten Heilszeichen – der Swastika. Der Weg dorthin führt über die Vernichtung der unwerten Rassen, der semitischen Schrättlinge und Tschandalen hin zur Neuzucht einer blonden, arisch-heroischen Götterrasse. Aber, wie könnten sie aussehen, die neuen Gottmenschen? Eine Aufgabe für den neuen Phidias und sein Modell, Gustav Stührk. (Aus: ZEIT DER GÖTTER, DISKURS II)

Juni 1991 Fahrt von Hamburg nach Wilflingen am Bodensee. Brütende Hitze. Im Dorf fragten wir einen Bauern mit der Sense über der Schulter nach dem Haus Ernst Jüngers. Ach, der Ernst, sagte der Bauer, den habe ich gestern noch mit freiem Oberkörper durch die Felder wandern sehen.
Jünger ist zu diesem Zeitpunkt 92 Jahre alt. Auf einer Wiese zogen ich und das Team die mitgebrachten weißen oder hellen Hemden und ein Jacket an. So standen wir dann mit einem Strauß Blumen für Frau Jünger vor der Tür. Gegenüber Jüngers Haus waren in der Toreinfassung des ehemaligen Forsthauses der Familie Stauffenberg noch die Einschussspuren des Schusswechsels zu sehen, der bei der Verhaftung von dem Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg entstanden. Zunächst gab es eine freundliche Begrüßung durch Ernst Jünger und seine Frau. Der Termin war auf Vermittlung meines neuen Bekannten beim Bundespresseamt in Bonn zustande gekommen. Dann der Schock. Ein Filminterview lehnte Jünger plötzlich ab, er hätte nur die Einwilligung zum Fotografieren seiner Porträtbüste von Breker gegeben, die im Wohnzimmer stehe. Er verschwand abrupt und schlug die Tür zu seinem Arbeitszimmer heftig zu. Ratlosigkeit. Dafür waren wir den langen Weg von Hamburg an den Bodensee gefahren? Intervention bei der freundlich-resoluten Frau Jünger. Sie bat mich um etwas Geduld und verschwand im Arbeitszimmer Jüngers. Nach einer Stunde Wartens öffnete sich die Tür, Ernst Jünger winkte uns herein und sagte: „Sie haben 15 Minuten Zeit, stellen Sie Ihre Fragen!“ Dann setzt er sich hin.
15 Minuten, das hieß: 4- 5 Fragen. Da war keine Zeit, zusätzliches Licht zu setzen. Leider saß Jünger zudem ungünstig im Gegenlicht, und es wurde immer dunkler im Zimmer. Aber ich wagte nicht zu unterbrechen und so rutschte ich während der ersten Fragen mit meinem Stuhl in eine Position wo Jünger, der mir in seiner Körperhaltung und Blickrichtung ja folgte, besser im Licht saß.
Als ich das Gespräch langsam in die Nähe der Themen bewegen konnte, die mich am meisten interessierten, etwa seinen Besuch im Atelier Picassos oder das Verhältnis zu Céline und Montherlant betreffend oder Fragen zur Kollaboration zwischen französischen und deutschen Künstlern wie ihm im besetzten Paris, witterte Jünger den Braten. Er stand abrupt bei laufender Kamera und der ersten konkreten Frage in diese Richtung auf und ging aus dem Bild. Dann durften wir aber noch die Käfer und die Helmsammlung aufnehmen und einen Blick in den berühmten Garten werfen.

noch Juni 1991 Paris, Avenue de Maréchal Maunory, 16. Arrondissement.
Ein vornehmes Mietshaus in der Nähe eines Parks. Besuch bei dem Schriftsteller Roger Peyrefitte. Peyrefitte öffnete selbst die Tür, ein 86jähriger Greis, der uns mit winzigen Trippelschritten in sein Arbeitszimmer führte. Er schien allein in der riesigen Wohnung, die Räume waren überladen mit homoerotischer Kunst und Nippes – Plastiken, Stiche, am Boden lag ein aufgeschlagener Fotoband von Wilhelm von Gloeden. Peyrefitte trat 1931 in den politischen Dienst als Diplomat ein, wurde zunächst Attaché für Auswärtige Angelegenheiten und unter Petain dann Beamter im Süden Frankreichs. Während des Interviews saß er in einem riesigen Lehnstuhl, die Füße auf einem Stühlchen aufgestützt. Soeben hatte er einen Anruf von dem Magazin „Penthouse“ bekommen, die einen Artikel über Madonna bestellt hatten. Er kannte Madonna nicht und war erfreut von uns zu erfahren, dass es sich um einen Popstar handelte. Er machte sich sogleich kritzelnd Notizen.
1990 hatte er die Gründung eines „Alexander-Ordens“ anlässlich der Feier zum 90.Geburtstag von Breker auf Schloss Nörvenich initiiert. Neben vielen anderen Prominenten wie Ernst Fuchs und Uta Ranke-Heinemann waren auch Nanca und Ronald Reagan Mitglieder im „Alexander-Orden“ geworden, er zeigte uns stolz den Brief aus Amerika. Peyrefitte sprach mit hoher, krächzender Stimme. Ein zusammengeschnurrtes Insekt, in dem böse Säfte umhergehen.

Nach dem Dreh saß ich mit einer Redakteurin von La Sept, die ich aus Hamburg kannte, in einem Café. Wir sprachen über die esoterischen Hintergründe von Brekers Werk und meine seltsamen Erfahrungen mit einigen Logenbrüdern. Plötzlich mischte sich in unser halblaut geführtes Gespräch über diese Verwicklungen und Zusammenhänge, die zur Erklärung eines Teils von Brekers Ikonografie und Figurationen wie seinem Erfolg im Dritten Reich dienen könnten, vom Nebentisch ein junger Mann ein. Ich höre, Sie sprechen über die Templer und die Gnosis? Wenn sie Interesse haben, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung. Wir zahlen sofort und gehen. Hans Peter Litscher meinte, angesprochen auf dieses und andere seltsame Ereignisse, das erinnere ihn an seine Zeit als Assistent bei Syberberg, da sei es von früh bis spät nur um diese Dinge gegangen. Das Resultat sei, dass irgendwie alle Überlegungen und Gedanken vergiftet werden, durch dieses Trippeln und Trappeln unter den Dielen, durch die ständige präsente Frage: Steckt etwas dahinter was ich nicht entschlüsseln kann? Weil ich nicht dazugehöre, in das Arkanum nicht eingeweiht bin? Gibt es diesen doppelten Boden wirklich, der ab und an vermutet werden kann (oder soll)? Jede Gesprächsabsage, jede Verzögerung im Ablauf der Dreharbeiten bekam nun eine Bedeutung. Alles konnte – oder konnte auch nicht – ein Hinweis auf ein geheimes Spinnweb hinter der sichtbaren Oberfläche der Erscheinungen sein.

Arno Breker ist nun auf dem Weg nach ganz oben. Aber, er hat kein eigenes Thema mehr. Er und seine Kunst sind nun Teil einer gewaltigen Maschine, die sich, angetrieben von deutschem Ingenieursgeist, Esoterik und dem Geld der deutschen Banken, anschickt, im Zeichen der Vision von der „Wiederkehr der Götter“ die ganze Welt umzugestalten.
(Aus: ZEIT DER GÖTTER, Kommentartext)

Noch Juni 1991, Fax von H.P.Litscher aus Paris
Habe mit der Sekretärin von Jean Marais gesprochen, die bat, unser Anliegen schriftlich zu formulieren. Jean Marais hat auf den Brief vom 12.6. schon am darauffolgenden Tag begeistert geantwortet: MONSIEUR, AYANT UNE GRANDE RECONNAISSANCE VIS A VIS D`ARNO BREKER JE SERAIS RAVI DE PARLER DE LUI AVEC LUTZ DAMMBECK. LE MIEUX EST DE ME CONTACTER AU TELEPHONE: 93 64 39 12. TRES CORDIEALEMENT JEAN MARAIS.

Noch Juli 1991 Nachtfahrt in einem 6er Abteil im Liegewagen von Paris nach Cannes. Hans Peter Litscher war leider nicht mitgekommen. Er hatte auf einem Hin- und Rückflug und einer Hotelübernachtung bestanden, was mein Etat leider nicht hergab. Ich fuhr also mit dem Team und der Technik mit dem Nachtzug im Liegewagen in einem 6er-Abteil, weil wir so die Übernachtungskosten sparen konnten. Nun musste Veronique das Interview führen. Veronique war gebürtige Französin, studierte Film in Hamburg und war als Produktionsassistentin für den Dreh in Frankreich. Sie hatte Angst vor dem Interview und davor, Jean Marais, einem Idol ihrer Mutter, Fragen zu stellen. Die waren zwar vorab übersetzt worden, aber bei meinen Interviews ging das Gespräch meist schnell „ins Freie“ und extemporieren war sicher notwendig. „Na, Sie werden sehen, was Sie davon haben“, hatte Litscher zum Abschied in Paris gesagt, „sie spricht doch Französisch wie ein Kind.“ Leider hatte er Recht. Dadurch war ich während des Interviews mit Marais etwas limitiert, was ich durch Improvisation und Instinkt ausgleichen musste. Mit dem Mietwagen fuhr ich mit dem Team vom Bahnhof in Cannes aus nach Vallauris. Marais besaß in der Straße „Märtyrer der Resistance“ eine Töpferboutique, in der er eigene Bilder und Keramiken verkaufte. Die Boutique war ein eleganter und abgedunkelter Laden, in dem Marais mit Kunden im Gespräch war. Er unterbrach sofort das Verkaufsgespräch und bat uns, ihm in seinem Golf-Cabriolet zu seiner Villa zu folgen. Die Villa lag am Ende einer langen, gewundenen Auffahrt. Nach dem Halt vor der Villa wurde unser Wagen von fünf riesigen Schäferhunden verbellt und angesprungen. Die wutverzerrten Hundeschnauzen hinter der Autoscheibe. Das Interview fand am Pool statt, nach den ersten Fragen begann es zu regnen. Gewitterdonner – Götterdämmerung. Während des Interviews sprang einer der Schäferhunde auf den Tisch. Marais hielt den Hund fest und sprach weiter routiniert in die Kamera. Lachend und nicht ohne Stolz erwähnte er, dass ihm nach dem Krieg die Engländer das Aussehen eines „echten“ SS-Mannes bescheinigten (Marais mit blonden Haaren und Lederhosen in L´AIGLE A DEUX TETES). Er freute sich auch, dass Breker 1964 eine Büste von ihm gemacht hatte. Alain Delon, bei Brekers Tod der Nächste auf der Warteliste für eine der begehrten Porträtbüsten, sei leer ausgegangen. Bei der Verabschiedung stand er lächelnd winkend in der Tür, durch die vom Regen beschlagene Autoscheibe nur unscharf zu erkennen.
Dann eine langsame Rückfahrt von Vallauris nach Cannes entlang der Croisette, die von den riesigen Werbeplakaten der neuen Kinohelden gesäumt war. Vor dem Festivalhaus gab es einen Auflauf: die Gala von Madonna mit Anthony Quinn, Dennis Hopper, Paul Gaulthier, Stevie Wonder und dem Rapper Ice-T aus New York, eine Bande hüpfender Glaszwerge aus der Welt der Videoclips. In Vallauris dagegen der müde, alte Löwe einer untergehenden Kinoepoche. Ein Star.

Klingeln an der Tür. „Guten Tag, ich hätte gern den Teufel gesprochen.“
„Ja, der Teufel war da, ist aber leider schon wieder weg und unbekannt verzogen, hat leider auch die neue Adresse nicht hinterlassen.“ „Schade.“ „Aber, einen Koffer hat er hier stehen lassen, da sind noch ein paar alte Sachen von ihm drin, die dürfen sie gern ansehen.“ „Oh, vielen Dank, interessant.“ Der Teufel ist unterdessen in eine neue Hülle geschlüpft.
(Aus: ZEIT DER GÖTTER, Kommentar)

noch Juli 1991, Fax von H.P.Litscher aus Paris
Habe mich mit dem Schriftsteller Bernard Noel längere Zeit telephonisch unterhalten. Er sei zwischen 20. und 26.Juli höchstwahrscheinlich in seinem Haus auf dem Lande und bitte uns, ihn kurz vorher anzurufen und dann bei ihm vorbeizukommen. Noel hat mir von der Familie Flammarion erzählt. Der Bruder von Henry Flammarion sei, als er Anfang der 40er Jahre nach Deutschland deportiert wurde, von Breker pro forma in Wriezen in
dessen „Breker Steinbilhauerwerkstätten GmbH“ als Arbeiter angestellt worden. Es gäbe eine Büste dieses Bruders von Breker, die sich im Besitz der Familie befinde. Dieser Bruder sei seit längerer Zeit tot. Der Autor des im Verlag „Flammarion“ erschienenen Buches sei nicht der Bildhauer Despiau gewesen, sondern der damalige Leiter des Museé Hébert, der in den 40er Jahren ebenfalls einer der Verantwortlichen des Verlags „Flammarion“ war. Die Frau dieses Herrn habe in den 50er Jahren der französischen Regierung alle Statuen Brekers aus der Ausstellung 1942 in der Pariser Orangerie, die nach 1945 konfisziert und in Paris eingelagert waren, abgekauft. Diese Dame habe dann die Statuen über die Schweiz an Breker weiterverkauft und heute stünden diese Figuren im Garten Brekers in Düsseldorf.

Der Montsegur, der heilige Berg der Katharer in den Pyrenäen. Hier folgt der deutsche Privatgelehrte Otto Rahn, später Mitglied im SS-Amt „Ahnenerbe“, den Spuren der katharischen Ketzer, die für die SS in der Reihe der arischen Lichtgestalten stehen: von den Templern bis hin zu Alexander dem Großen, dessen Weltreich als Sieg des Abendlandes über die asiatische Welt verstanden wird. Auf dem Montsegur notiert Rahn „Ich verweile und sinne...Großer Alexander, den noch Wolfram von Eschenbach als Weisen besungen hat, auch Du gehörst zu Luzifers Hofgesind, denn über Recken, wie Du einer warst, hat Jesaja im Namen seines Herrn Zebaoth ‚Wehe!‘ gerufen. Vom Himmel bist Du gefallen, Alexander, aber eingegangen bist Du in das lichte Reich des Lichtbringers Luzifer. Deinesgleichen nannte dieses Reich Olymp. Wir nennen es Asgard, Walhall, Rosengarten oder Montsalvat. Die Juden verfluchen es als Gehenna, und die Christen fürchten sich vor ihm als der Hölle. Wir aber wissen, Alexander: Luzifer, dem Unrecht geschah, hat Dich gegrüßt und geküsst!“ (Aus: ZEIT DER GÖTTER unter Verwendung eines Zitats von Otto Rahn, in: Luzifers Hofgesind, eine Reise zu den guten Geistern Europas. Auf den Spuren der Cartharer, 1937)

November 1992 Während der Endfertigung von ZEIT DER GÖTTER erhielt ich einen aufgeregten Anruf von H.P. Litscher aus Paris. Ein Freund aus New York habe ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, ein tibetanischer Mönch aus New York besitze ein kleines Stück Film von einer angeblichen SS-Expedition im Auftrag Himmlers nach Tibet. Wahnsinn, das sei Kult und doch etwas für meinen Film. Er könne da, obwohl alles ganz geheim und exklusiv sei, für mich in New York vorfühlen.
Als ich ihm erzählte, dass ich vor zwei Monaten Ausschnitte aus eben diesem Film („Geheimnis Tibet“) im ehemaligen Staatlichen Filmarchiv der DDR in Berlin abgeklammert habe, ist er enttäuscht. 
Wieder ein Geheimnis weniger. Dennoch, die Frage (und das Faszinosum) bleibt: Was suchten Ernst Schäfer und seine Expedition in Tibet? Nur ein winterhartes Pferd, Wintergerste und frostharte Ölsaaten für die geplante Besiedlung des Ostraums? Und, wozu sollte die „Expedition K 3“ nach Innerasien dienen, die bis 1944 vorbereitet wurde und an der 3000 SS-Leute teilnehmen sollten?

Oktober 1994 Nach einer Vorführung von ZEIT DER GÖTTER mit anschließender Diskussion in den Hamburger Zeisekinos näherte sich mir eine weißhaarige ältere Dame und raunte mir zu: Sie sind aber mutig.
Wieso? Na, wegen Tibet, Himmler und dem „Ahnenerbe“. Sie kannte die Witwe von Ernst Schäfer, dem Leiter der Tibetexpedition und auch einige der Zusammenhänge. Die hätte ich gut dargestellt.
Sie gab mir die Telefonnummer von Frau Schäfer, wollte mir Ihren eigenen Namen aber nicht nennen. Daraufhin rief ich Frau Schäfer in Bad Bevensen in der Nähe Hamburgs an. Einen Besuch wollte Sie mir nicht gestatten, ließ sich aber auf ein längeres Telefonat ein. Ja, es gäbe viel über die Sache zu sagen, aber es werde leider immer nur auf der SS-Mitgliedschaft ihres Mannes herumgeritten, der sei aber nur Wissenschaftler gewesen.
Ihr Mann sei von Haus aus Zoologe und als junger Wissenschaftler von Sven Hedin fasziniert gewesen. Hedin habe in München das Innerasieninstitut aufgebaut, das ihr Mann dann übernommen habe. Ihr Mann habe Anfang der 1920er Jahre im Salon der Münchner Verlegersgattin Elsa Bruckmann verkehrt, natürlich habe er sich damals auch mit Esoterik beschäftigt. Wie fast alle damals in diesen Kreisen, denken Sie doch nur an Klages, Schuler und die George-Leute. Und Hitler kam aus Braunau, da gab es doch in jedem dritten Haus ein Medium. Ihr Mann habe dann seine Chance als Wissenschaftler im von Himmler gegründeten „Amt Ahnenerbe“ gesehen. Hitler war für Ihren Mann ein Spinner, der sah sich als Reinkarnation von Heinrich dem Ersten. Die SS-Mitgliedschaft für Ihren Mann kam mit der Post und war unumgänglich. Ihr Mann kannte auch Friedrich Hielscher und Wolfram Sievers (den später in Nürnberg zum Tode verurteilten Chef des SS-„Amt Ahnenerbe“) und war begeistert von den Möglichkeiten, die er von Himmler im „Ahnenerbe“ für seine Forschungsziele Zoologie und Innerasien bekam. In Salzburg habe er mit Sven Hedin und Bruno Beger die Tibetausstellung im „Haus der Natur“ eingerichtet, die stehe heute noch unverändert. Sven Hedin habe davor gesessen und geweint, so gut war das geworden. Von Asien verstanden Himmler und seine Leute nicht viel, stellen Sie sich vor, Himmlers Stellvertreter Obergruppenführer Wolf wollte Schäfer und einige Leute nach Afghanistan schicken, dort sollte er mit den Russen Störaktionen gegen die Engländer planen. Das war ja praktisch unmöglich. Nach dem Krieg seien sie beide nach Südamerika gezogen, ihr Mann habe dort Tierfilme gedreht, u.a. für die Weltausstellung in Brüssel einen Film über den Kongo und die Mystik der Eingeborenen. Der Direktor des Kolonialmuseum Brüssel und die belgischen Geldgeber, darunter König Bauduin, waren begeistert. Schäfer habe Heinz Sielmann als Assistenten mitgenommen. Als der Film fertig war, wurde in der Presse die SS-Mitgliedschaft von Schäfer lanciert, um dem belgischen Königshaus zu schaden. Sielmann wurde dann als Regisseur vorgeschoben und kam so ins Geschäft. Ihr Mann sei immer unpolitisch gewesen, die esoterische Seite der Expedition werde sowieso überschätzt, ihr Mann habe wie schon gesagt über Himmlers Spinnereien nur gelacht. In einem Privatdruck für den engeren Familienkreis habe sie mal aufgeschrieben, was Himmler Ihrem Mann damals als Auftrag nach Tibet mitgegeben habe. Aber dazu wolle und dürfe Sie mir nichts sagen. Wenden Sie sich doch an Dr. Beger, der war damals bei der Expedition dabei, vielleicht kann und will der Ihnen mehr sagen. Sie legte kommentarlos auf. Spätere Versuche, Frau Schäfer telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos.

Heinrich Himmler unternimmt in der SS den Versuch, diesen neuen Adel zu züchten, einen nationalsozialistischen Orden nordisch bestimmter Männer, auserwählt zur Weltherrschaft. In einem SS-Staat im Osten Europas soll die neue Elite, umgeben von „Hohen Frauen“ und über Wehrbauern herrschend, den slawischen und asiatischen Angriffen trotzen. Eine eiserne Mauer gegen die Völker Gog und Magog, wie im Reich Alexander des Großen.
Das SS-Amt „Ahnenerbe“ ist die Wisssenschaftsabteilung der SS. Hier soll der Nachweis für die Auserwähltheit der arischen Götterrasse erbracht werden, das Karma einer neuen deutschen Religion. Besondere Aufmerksamkeit schenkt man im „Ahnenerbe“ der Welteislehre des Österreichers Hanns Hörbiger. Nach Hörbiger war die Tertiärzeit ein „Goldenes Zeitalter“, der Untergang jener fernen arischen Hochkultur ging auf eine von kosmischen Kräften verursachte Sintflut zurück. Nur auf hohen Bergen und auf Hochebenen vermochten sich Reste dieser Hochkultur erhalten. Nunmehr stehe der Mensch an der Schwelle eines neuen Zeitalters: Die jüdisch-christliche Kultur werde versinken und der Gottmensch ältester Prägung werde erneut erkennbar. 1938 startet in Berlin eine SS-Expedition nach Tibet. Bereit, den Kontakt mit den Göttern aufzunehmen. Aber, wo sollten sie wohnen, die wiederkehrenden Götterriesen? Wie sollten die Tempel der neuen Hochkultur aussehen? 1938 übernimmt Arno Breker, er ist 38 Jahre alt, die ersten Aufträge für die Neugestaltung Berlins zur „Welthauptstadt GERMANIA“, dem geplanten Zentrum des arischen Weltreiches. (Aus: ZEIT DER GÖTTER, Diskurs II)

Ich besorgte mir die Telefonnummer von Dr. Bruno Beger, der von 1938 bis 1939 Anthropologe der Tibetexpedition von Ernst Schäfer war.
Einen Monat später kam es zu einem Treffen mit Beger und seiner Frau unweit von Frankfurt am Main. Beger war groß, hager, noch gut in Form für seine 82 Jahre, seine Frau trug das Haar zu einem blonden Schneckenkranz gebunden und verfolgte aufmerksam und wachsam unser Gespräch. Begers Idol war Wilhelm Filchner, der deutsche Tibetforscher. Schäfer und Beger, die sich 1937 in Berlin kennenlernten, hatte Tibet schon immer interessiert. Sie sahen sich als reine Wissenschaftler und unpolitisch, Ideologie war uns fremd, beteuerte Beger. Und sie waren die ersten, die Tibet in noch „unberührtem“ Zustand kennenlernten und erforschten, bevor die Engländer und Chinesen kamen. Er habe in Lhasa zwei Monate in einem Kloster von einer Centschur, einer Bibel aus Holzleisten, Abgüsse gemacht, auch von Köpfen der Tibeter. Mit Heinrich Harrer sei er 1939 in den Nanga Parbat aufgestiegen. Harrer war auch sieben Jahre in Tibet, teilweise als Ingenieur in Lhasa und sei wie er, Beger, früh in die SS eingetreten.
Seit Jahren sei er mit dem Dalai Lama gut befreundet und auch Ehrenmitglied der Tibetgesellschaft.
Schäfer war Zoologe, ein Vogelkundler. Die Mitglieder des SS-Amts „Ahnenerbe“ seien eine Mischung aus seriösen Wissenschaftlern wie ihm, Schäfer oder etwa Jankuhn und Spinnern wie Otto Rahn oder Williguth Weißthor gewesen. Für Himmler, der sich als Reinkarnation von „Heinrich dem Vogeler“ sah, war das „Ahnenerbe“ auch ein privates Auskunftsbüro, das Himmler interessierende Fragen nachgehen musste, etwa nach der Geschichte der Externsteine oder dem Verbleib des Heiligen Grals. Natürlich spielte Esoterik, Neuheidentum und die Gnosis im „Ahnenerbe“ eine große Rolle. „Kennen Sie das Buch von Alexandra David Neel Liebeszauber und schwarze Magie?, fragte mich Beger. „Das müssen Sie unbedingt lesen“, nach diesem Buch habe er ein Filmdrehbuch geschrieben, Film interessiere ihn überhaupt sehr.
In Tibet hatten er und Schäfer über achtzehn Stunden 16mmm-Material belichtet und mit  Vorführungen einer Kurzfassung des Films „Geheimnis Tibet“ nach 1945 etwas Geld verdient.
Himmler wollte im „Ahnenerbe“ einen neuen deutschen Forschertypus heranziehen: interdisziplinär –  unideologisch – effizient, die neuen Universitäten in Salzburg, Straßburg und Posen (Anmerkung: wo auch Heinz Sielmann und sein „Bursche“ Josef Beuys studierten) sollten später zu einer geplanten SS-Universität hinführen. Nach dem Endsieg wollte Himmler angeblich Kultusminister werden und dem „ewigen Welteis“ den Kampf ansagen. Beger war aber auch an einer anderen spektakulären Aktion der SS beteiligt. Schäfer und Sievers planten die Herstellung einer „großen Rassekarte von Europa“. Eine Vorarbeit war die Schädelsammlung von Prof. Hirt, für die Beger (damals SS-Hauptsturmführer in Auschwitz, assistiert von Dr. Hans Fleischhacker) 115 Häftlinge selektierte, die dann im KZ Natzweiler vergast wurden und schubweise in die Anatomie der Reichsuniversität Strassburg verbracht wurden. Während der Tibetexpedition Schäfers war Beger für die anthropologischen Messungen und  Schädelabgüsse von Tibetern verantwortlich, ein Ziel war u.a. die Erforschung von Wanderungswegen der Indogermanen in Innerasien.
Als ich zu diesem Teil der Expedition und der Tätigkeit Begers hartnäckiger nachfragte, brach Begers Frau das Gespräch ab. Die Begers standen abrupt auf und verabschieden sich. Ein weiteres Gespräch war nicht mehr möglich. Vor eine Kamera zu treten und Aufzeichnungen jeder Art lehnten die Begers trotz mehrmaliger Bemühungen kategorisch ab.

In wenigen Jahren werden die letzten Überlebenden der Täter und Opfer nicht mehr leben, dachte ich. Wie werden sich dann spätere Generationen das alles zusammenreimen? Denn was mir bei den Recherchen zu diesem Film begegnete, waren vor allem Löcher, ungesicherte oder gar nicht vorhandene Zahlen, Tatbestände und Zusammenhänge, die im Dunkeln lagen und anscheinend bleiben würden. Für viele dieser Dinge schien sich bisher niemand interessiert zu haben, viele Zeitzeugen waren nie kontaktiert oder zu einem Gespräch gebeten oder herausgefordert worden. So erschien es mir immer klarer, dass wir über diese doch relativ kurze Zeitspanne eigentlich nichts wissen. Weder über die Ursachen, noch über die Verlaufsform dieses Versuchs, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die Moderne, eine Moderne im Sinne der französischen Revolution und der Aufklärung, aufzuhalten.
Dieser Gedanke erscheint natürlich absurd und kurios angesichts der täglich wachsenden und sich zu hohen Gebirgen auftürmenden Zahl von Büchern, Filmen und Erklärungsversuchen über den Faschismus und die Jahre zwischen 1933 und 1945. Dennoch wissen wir (fast) nichts darüber. Und werden auch nicht viel mehr darüber erfahren.