Presseheft

b.film Verleih präsentiert
DAS NETZ
UNABOMBER | LSD | INTERNET

Ein Film von Lutz Dammbeck
Kinostart: 13. Januar 2005

35mm Originalfassung Deutsch-Englisch mit UT

Länge: 121min
Format 1:66
Vorführungen auch im DVD- und Beta SP-Format

VERLEIH: B.FILM VERLEIH
Hans Habiger, Andreas Wildfang
Köpenicker Str. 154A
D-10997 Berlin
Tel.: 030 – 2431 3030
Fax.: 030 – 2431 3031
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PRESSEBETREUUNG:
PRESSEBÜRO MÜCKE
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Fax.: 030 - 4171 5725

m.muecke@achteinhalb-berlin.de

INHALT:
Kurzinhalt/ Synopsis
Langinhalt
Biografien
Interview mit Lutz Dammbeck
Stab/ Credits
Bio-/Filmografie Lutz Dammbeck
Tourdaten
Literaturhinweis
Weitere Informationen: www.t-h-e-n-e-t.com

 

KURZINHALT/ SYNOPSIS:

Am 3. April 1996 wird Theodore J. Kaczynski in den Bergen Montanas vom FBI verhaftet. Dem ehemaligen Harvard-Absolventen und Mathematikprofessor wird zur Last gelegt, als „Unabomber“ Anschläge gegen Personen aus Wissenschaft, Kunst, Militär und Computertechnologie verübt zu haben. Wieso wandelt sich ein Musterschüler mit einem IQ von 170 zu einem „most wanted“ Terroristen?

Das Netz“ taucht ein in die Geschichte von Ted Kaczynski und spürt den Einflüssen und Utopien nach, unter denen seine Generation aufgewachsen ist:

Die Hippie-Kultur Kaliforniens mit ihren ausgeflippten Rockkonzerten und LSD-Räuschen. Die Kunstszene New Yorks, wo schräge Multimedia-Events und Beat-Happenings an der Tagesordnung sind. Die wissenschaftlichen Utopien einer durch Technologie versöhnten Welt, wie sie in den Laboren der Computerfreaks ausgedacht werden.

Auf der Reise quer durch die USA begegnet der Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck vielen Protagonisten dieser Zeit, die bis heute das künstlerische und intellektuelle Klima in den USA bestimmen, Literaturagenten und Künstlern in New York, Computerwissenschaftlern und Militärs in Boston, Palo Alto und Washington. Was verbindet diese Personen, Orte und Ideen zu einem Netz? Welches Weltbild steckt hinter den modernen Fundamenten aus Kybernetik, Multimediakunst und militärischer Forschung? Und wo bleibt der Mensch in diesem von Logik und binären Codes programmierten Universum? Ohne vorschnelle Antworten zu geben, zeigt „Das Netz“ die Konstrukteure, Maschinisten und Agenten dieser Systeme. Einer steigt aus und versucht die Maschinen zu stoppen. Aber um welchen Preis?

 

LANGINHALT:

1930 erschüttert der Wiener Mathematiker Kurt Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen die Grundlagen der Mathematik. Er weist nach, dass es in jedem formal-logischen System Probleme gibt, die nicht lösbar und entscheidbar sind. Die Wahrheit ist der Beweisbarkeit überlegen.“

Multimedia“, „Virtualität“, „Grenzüberschreitung“ und „Revolutionen“ aller Art sind Begriffe, die nicht erst im Computerzeitalter geprägt wurden, sondern bereits in den 60-er-Jahren die Kunstavantgarde interessierten. Die Gemeinsamkeit beider Richtungen besteht darin, dass sie Realität nicht als etwas Gegebenes betrachten, sondern als beliebig veränderbar: „Du bist, was du sein willst“. Diese Überschneidungen von Technologie und Kunst und die damit aufgeworfenen Fragen sind Inspiration, um einige Protagonisten der Bewegungen zu treffen.

Der Weg führt als erstes nach New York, wo der Literaturagent und Verleger John Brockman in den 80-er-Jahren mit den Bücher von Physikern, Genforschern und Computerwissenschaftlern reich und berühmt geworden ist. Sein Erfolgsgeheimnis: Er vermarktet seine Schützlinge wie Popstars und kreiert einen elitären Zirkel, den er „digerati“ – Cyber-Elite  nennt.

1993 wird Brockmans Netzwerk von einem Bombenanschlag attackiert, dem der Computerwissenschaftler David Gelernter zum Opfer fällt. Als Täter verhaftet das FBI später den ehemaligen Mathematik-Professor und Harvard-Absolventen Ted Kaczynski. Warum wird ein Mathematiker zum Terrorist?

Zwischen 1978 und 1995 erschüttern Bombenanschläge die USA, bei denen drei Menschen sterben und 23 zum Teil schwer verletzt werden. Ziel der Attacken sind Chefs großer Fluggesellschaften und Wissenschaftler an Universitäten. Als Täter wird der so genannte „Unabomber“ ausgemacht, der seitdem durch die Netzwelt geistert. In Bekennerschreiben fordert die Terrorvereinigung „FC“ (Freedom Club) die Veröffentlichung eines Manifests. Am 2. August 1995 erscheint in der Washington Post der Vorabdruck des 56-seitigen „The Unabomber-Manifesto“ und führt zur Verhaftung des Mathematikers Ted Kaczynski. Sein Bruder David erkennt nach der Lektüre Zitate von Ted und verständigt das FBI. 1996 wird Ted Kaczynski in der Wildnis Montanas verhaftet, wo er 25 Jahre lang in einer selbstgebauten Hütte lebte.

Im Interview mit Stuart Brand, dem Erfinder des Begriffs „Personal Computer“ und Herausgeber des alternativen „Whole Earth Catalog“, wird der Zusammenhang von Computertechnologie, Hippiekultur und LSD-Szene deutlich. Genauso wie Ken Kesey, Hippie-Ikone und Autor von „Einer flog über das Kuckucksnest“, hatte Ted Kaczynski an staatlichen Drogenexperimente teilgenommen und war beeinflusst von der amerikanischen counter culture. Allerdings pries diese nicht nur den Rückzug in die Natur, sondern zeigte sich offen gegenüber Hackern und Computertechnologie, der ein demokratisches Potential, dadurch dass sie persönlichen Zwecken diente, zugesprochen wurde. Kaczynski dagegen lehnte Technologie ab und verschaffte sich durch Gewalt Gehör.

Aus dem „Unabomber-Manifesto“: „Die Folgen der industriellen Revolution sind eine Katastrophe für die Menschheit. (…) Deshalb treten wir für eine Revolution gegen das technologische System ein. Anhaltender wissenschaftlich-technischer Fortschritt wird die Freiheit des Individuums vernichten. (…) Es wird bald keinen Ort mehr geben, wo sich ein Individuum vor der Überwachung durch Super-computer und Bewusstseinssteuerung verstecken kann. (…) Es wäre hoffnungslos, das System anzugreifen, ohne selbst moderne Technologie einzusetzen. (…) Wir müssen alle Medien nutzen, um unsere Botschaft zu verbreiten. (…) Natur ist der Technologie entgegengesetzt und die perfekte Alternative zu diesem System. (…) Je eher dieses System zusammenbricht, desto besser für die Menschheit.“

Einen Ursprung der „Utopie einer technologischen Gesellschaft“ bildet die Kybernetik. Sie begreift den Menschen als informationsverarbeitendes System und geht davon aus, dass der Mensch sich den Technologien, die er benutzt, anpassen muss. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, wo die Elite amerikanischer und internationaler Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet wird, herrscht traditionell eine enge Partnerschaft mit dem Militär. Das geht auf den ersten und zweiten Weltkrieg zurück, wo Technologie kriegsentscheidend wurde. Mit der Berechnung der Flugbahn deutscher Jagdflieger stellt der Mathematiker Norbert Wiener seine Forschungen am MIT in den Dienst des amerikanischen Militärs. Er will das komplexe Zusammenspiel der Nachrichtenübertragung in Maschinen und Lebewesen untersuchen und herausfinden, welche (berechenbaren) Parameter den Piloten eines Jagdfliegers zu bestimmten Handlungen veranlassen. Hieraus entwickelt sich die Kybernetik.

In seiner Korrespondenz äußert sich der im Gefängnis zu lebenslänglicher Haft einsitzende Ted Kaczynski über die Zukunftsvision einer „nach-technologischen Gesellschaft“. Der 1958 mit einem IQ von 170 sein Studium in Harvard aufnehmende 16-Jährige wurde 1967 Mathematik-Professur an der Universität von Berkeley. Zwei Jahre später stieg er aus, wandelte sich zum Technologie-Gegner und lebte zurückgezogen in den Wäldern Montanas. WARUM?

Robert W. Taylor, Netzwerkentwickler im Pentagon und Erfinder des ARPANet, aus dem sich später das Internet bildete, auf die Frage, wovor er Angst habe: „Ich habe Angst vor Krebs.“ – Dammbeck: „Das ist eine Zivilisationskrankheit“. – Taylor: „Ja, aber ich glaube, eines Tages werden wir wissen, wie man Krebs heilt oder verhindert. Wenn wir wissen, wie man Krebs heilt, werden keine Angst mehr davor haben. Das ist eine Frage des Wissens und des Sieges über die Unwissenheit.“

(Off-Ton Dammbeck): „Was habe ich bisher? Ich habe einen Mathematiker, über dessen Systemkritik keiner meiner Interviewpartner reden will. Und ich habe Ingenieure und Künstler, die von Technologie besessen sind. All das gehört offensichtlich zu einem System, dessen Konturen ich erst erahne. Anscheinend ein geniales Feedback-System, das jeden Angriff und jede Störung umgehend als Energiezufuhr für seine weitere Perfektionierung nutzt. Wer braucht so etwas, wer denkt sich sowas aus?“

Ab 1946 treffen sich in New York führende Wissenschaftler (Norbert Wiener, Margaret Mead, Gregory Bateson, Kurt Levin, John von Neumann), um über die Vorhersage und Kontrolle menschlichen Verhaltens zu debatieren. An diesen später „Macy-Konferenzen“ genannten Treffen nimmt manchmal auch der amerikanische Geheimdienst teil. Die 1950 erscheinende Studie „Die autoritäre Persönlichkeit“, herausgegeben vom International Institut of Social Research, dem Nachfolger des Frankfurter Instituts für Sozialforschung um Horkheimer und Adorno, erregt großes Aufsehen. Darin wird das bislang umfassendste Sozialprofil der amerikanischen Gesellschaft geliefert sowie wissenschaftliche Gründe für religiöse und rassistische Vorurteile. Die berühmte „F (Faschismus)-Skala“ registriert, auch unter Rückgriff auf die psychologischen Untersuchungen von Henry A. Murray, einem der Väter der heutigen „Assessment-Center“, das autoritäre Potenzial der Menschen. Gestaltpsychologen wie Kurt Levin visieren die Umerziehung des autoritären Menschen an, indem zu allererst sein Wertegerüst demontiert und durch neue Werte ersetzt wird. Das Ziel ist eine postnationale und multi-ethnische Weltgesellschaft, wofür die Macy-Gruppe über das richtige Instrumentarium zu verfügen glaubt.   Anti-autoritäre Menschen nach Maß. Die spirituellen Gruppierungen der 70-er-Jahre in Kalifornien haben die Ideen von Kybernetik und Systemtheorie popularisiert und dabei deren militärische Aura eliminiert.

Heinz von Foerster: „Ich habe erkannt in meinem Leben, dass je mehr ich mich mit der Physik befasse, desto mehr werde ich ein Metaphysiker.“

Aus einem Brief von Ted Kaczynski: „Als ich jung und naiv war, befürchtete ich, dass die Technologie eine völlig geordnete, regelmäßige und vollkommene Welt schaffen würde. Heute meine ich, dass solch ein Ergebnis unwahrscheinlich ist. Aber der Grund für meinen Meinungswechsel ist keineswegs der Unvollständigkeitssatz von Gödel, sondern die Unberechenbarkeit des Verhaltens komplexer und offener Systeme. Möchten Sie in einer Welt leben, in der Wissenschaftler und übermenschlich intelligente Maschinen alles Wissen verstehen und deshalb alles ordnen und regeln können? Wenn Ihnen das nicht gefällt, warum beklagen Sie sich darüber, dass die Wissenschaft nicht alles weiß und Löcher in der Theorie hat? Stattdessen sollten Sie sich Sorgen machen, dass die Wissenschaft zu viel weiß.“

Henry A. Murray leitet eine Versuchsreihe des CIA, bei der mit Drogen experimentiert wird. Das Führungsverhalten hoch dekorierter Offiziere soll hinsichtlich ihres Reagierens in extremen Stresssituationen untersucht werden. Aus diesen Forschungen leitet Murray einen Beitrag der neuen Sozialwissenschaften ab für den „Weltfrieden in einer neuen Weltgesellschaft mit Weltgesetzen und einer Weltpolizei und einer Weltregierung“. Hierauf können, so Murray, die Vereinigten Staaten Anspruch erheben. Den Versuchspersonen wie Ted Kaczynski wird auch LSD 25 verabreicht, um ihr Unbewusstes neu zu programmieren und ihr Verhalten steuern zu können. Murray und der junge Psychologie-Professor Timothy Leary nehmen selbst an den Experimente teil. Alle Versuchsläufe werden gefilmt; später verschwinden jedoch die Filmrollen mit Kaczynski, so wie alle anderen ihn betreffenden Materialien.

1971 zieht Ted Kaczynski nach Lincoln, Montana, wo er sich in einer Hütte, 5 km vom Ort entfernt, zurückzieht. Seine Nachbarn, der Sägewerkbesitzer Butch Gehring und der Klavierlehrer Chris Waits, spielen später bei seiner Verhaftung eine Rolle. Sie helfen dem FBI bei der Überwachung und Auslieferung von Ted Kaczynski und spüren eine zweite Hütte in den Wäldern auf, das angebliche Bombenlager. Für die Theorie des FBI, dass Kaczynski der „Unabomber“ sei, ist dies außerordentlich wichtiges Beweismaterial.

Wie wehrt man sich, fragt Ted Kaczynski in einem weiteren Brief, gegen den Zwang, an der Realisierung einer Utopie teilzunehmen – gemeint ist die Utopie einer technologischen Gesellschaft – und von wem geht die größere Gewalt aus, vom Staat oder vom Einzelnen, der sich dagegen selbstverteidigt?

1993 erhält der Informatiker David Gelernter eine Briefbombe, durch die er seine rechte Hand und ein Auge verliert. Als Computerwissenschaftler an der Yale-Universität und Chef von „Mirrorworlds“, einer Software-Firma, befasst er sich mit der „Vision einer zukünftigen virtuellen Gesellschaft, die nur noch auf Software basiert“. Demnach lassen sich Universitäten, Firmen und Behörden in Software spiegeln, wie ein Gebäude im Wasser, und sind dann für jedermann auf einfache Weise zugänglich – via Internet. Dass die moderne Computer-Technologie tendenziell nicht kontrollierbar ist, hält Gelernter für positiv und ungefährlich.

 

EPILOG
Der Mathematiker Kurt Gödel stirbt 1978 an den Folgen seiner Paranoia.“
Der Mathematiker Ted Kaczynski wird 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Gegen seinen Willen kommt es vor Prozessbeginn zu einer Absprache zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht. Kein regulärer Prozess, keine Einweisung in die Psychiatrie, kein Todesurteil und keine Möglichkeit auf Benadigung. Ted Kaczynski bestreitet bis heute, der „Unabomber“ gewesen zu sein.“

 

BIOGRAFIEN:

Steward Brand
Studierte Biologie an der Phillips Akademie in Stanford und diente im 2.Weltkrieg bei der US-Luft-waffe. Nach dem Armeedienst ging Brand an die Westküste, wird dort Teil der counter culture. Am Western Behavioral Sciences Inst
itute (WBSI), einer Fernuniversität, trifft er mit Larry Brilliant zusammen, einem Organisator des Woodstock-Festivals. Brand war „on the Bus“ mit Ken Kesey und den Merry Pranksters und einer der Organisatoren des Trips-Festivals, der „Mutter aller Rockfestivals“. 1968 gibt Brand den „Whole Earth Catalog“, einen Bestseller der Alternativszene, heraus, für den er 1972 den National Book Award erhält. In den 60-er Jahren ist Steward Brand „Impresario für Multimedia-Performances“ in der Bay Area, organisiert die „Fall Joint Conference“, die erste Multimedia-Show mit von verschiedenen Orten live aus Computern eingespielten Bildern.

Stuart Brand erfindet den Begriff „Personal Computer“. Als Berater steigt er in Doug Engelbarts „Augmented Human Intellect Program“ an der Stanford University ein. 1984 startet Brand das „Whole earth `Lectronic Link“, genannt „The Well“, ein Computer Telekonferenzsystem für das Gebiet der San Francisco Bay. Der Server von The Well befand sich auf einem Hausboot in Sausalito, einer Halbinsel vor San Francisco. Brand ist Gründungsmitglied der Electronic Frontier Foundation, eine Organisation, die Bürgerrechte und Verantwortung in den elektronischen Medien unterstützt. In den 90er Jahren wird Brand Wirtschaftsberater für die boomende Computerindustrie und Mitbegründer und Direktor von Global Business Network. Außerdem hat er den GBN Book Club gegründet und ist Präsident der The Long Now Foundation (longnow.org). Diese Organisation realisiert u.a. das Projekt „The Clock Of the Long Now“- eine Milleniums-Uhr. Stewart Brand ist Autor zahlreicher Bücher, u.a.: „Das Ticken des langen Jetzt   Zeit und Verantwortung am Beginn des neuen Jahrtausends“.

 

John Brockman
Verleger und Literaturagent. Nach dem Armeedienst studiert Brockman bis 1963 am Babson-College und schließt an der Columbia-Universität mit einem MBA ab. 1964 findet er durch Jonas Mekas Anschluss an die New Yorker Underground-Filmszene, arbeitet für die Filmmakers Cinemateque und organisiert 1965 am Lincoln Center das Expanded Cinema Festival. Als Berater für Multimedia-Events kreiert Brockman zusammen mit Andy Warhol die ersten Multimedia-Diskotheken und arbeitet für Firmen wie Scott Paper, General Electric und Columbia Pictures sowie für das Weiße Haus und Pentagon. 1973 verbringt Brockman eine Woche am Esalen Institut der Northern California University, wo er Kontakt zu Gregory Bateson, John Lilly, Stewart Brand und Heinz von Foerster hat, deren Bücher er im Anschluss an die Konferenz der so genannten „Maverick-Thinker“ verlegt und als Agent vertritt. In den 70er-Jahren ist Brockman auch Co-Autor von Büchern über Neue Technologien („The Home Computer Handbook“). In den 80er und 90er Jahren wird Brockman zum wichtigsten Propagandisten der neuen Computertechnologien. Mit dem Aufkommen des Internet wandelt er einen Newsletter zu Fragen von Wissenschaft, Kunst und Computern in die Website „Edge.org“ um, ein Online-Diskus-sionsforum für „führenden Denker unserer Zeit“. Zu seinen Publikationen zählen: „Digerati: Encounters with the Cyber Elite“, „The Next Fifty Years“ sowie „Third Culture“ (Die Dritte Kultur), das als Buch erschienen ist und als Mail-Rundbrief weiter existiert. Zu den von Brockman vertretenen Autoren zählen Bill Joy, Ray Kurzweil und David Gelernter. Alljährlich feiert Brockman seinen nicht unerheblichen Erfolg auf einem „Milliadärs Dinner“ genannten Digerati-Treffen in Kalifornien. John Brockman lebt in New York.

 

Heinz von Foerster
Wird 1911 in Wien geboren und wächst in einem großbürgerlichen Elternhaus mit Kontakten in die moderne Ku
nstszene Wiens auf. Als Kind lernt von Foerster Ludwig Wittgenstein kennen und ist fasziniert von dessen „Tractatus Logicus“. Nach dem Studium der Technischen Physik an der TH Wien kommt er mit den Ideen des „Wiener Kreises“ und dessen „Einheitswissenschaft“ in Kontakt. Er geht 1938 mit seiner Frau nach Berlin, um dort bis zum Kriegsende bei der Fa. GEMA an kriegswichtigen Forschungen (Radar, Kurzwellen- und Plasmaforschung) zu arbeiten. 1948 veröffentlicht von Foerster das Buch „Das Gedächtnis. Eine quantenmechanische Untersuchung“. Das Buch erregt in den USA, gefördert von Warren McCulloch, einiges Aufsehen und Foerster wird daraufhin zu den Tagungen der Macy-Konferenzen“ eingeladen. Von 1949 an ist er Sekretär dieser bedeutenden interdisziplinären Tagungen, an denen führende Computerwissenschaftler, Physiologen, Biogenetiker, Mathematiker und Soziologen teilnehmen.

1951 erhält von Foerster eine Professur in Electrical Engineering an der University of Illinois, wo er 1957 das „Biological Computer Laboratory (BCL)“ gründet, das in den nächsten 20 Jahren eines der wichtigsten Innovationszentren der Kybernetik und Kognitionswissenschaft wird. Von Foerster gilt als einer der Pioniere des Konstruktivismus, wonach die Menschen ihre erfahrene Wirklichkeit selbst konstruieren. 1969 stellt Heinz von Foerster in einer Sendung bei CBS einen „Parallelcomputer“ vor, ein Gerät, das mit seiner „parallel Arbeitsschritte ausführenden Struktur“ dem neuronalen Netzwerk des Gehirns ähnelt. Ab Ende der 60er Jahre wendet von Foerster sich den Bereichen Wissensvermittlung, Datenbanken und intelligente Netzwerke zu.

 

Butch Gehring & Chris Waits
1971 wird Ted Kaczynski Bürger der Gemeinde von Lincoln im Bundesstaat Montana. Seine Nachbarn sind der Sägewerkbesitzer Butch Gehring und der Klavierlehrer von Lincoln, Chris Waits. Butch Gehring lebt seit 1948 in der Gegend um Lincoln, ist verheiratet und hat drei Kinder. Nach der Highschool ist er ein Jahr auf dem College und dann sechs Jahre bei der Armee. Sein Vater verkauft 1971 Ted und David Kaczynski etwas Land nahe der Stemple Pass Road, auf dem Ted Kaczynski dann seine Hütte baut. Chris Waits kommt als Kind Ende der 60er Jahre nach Lincoln, arbeitet als Klavierstimmer, Musiklehrer, Straßenbauer und Holzfäller. Seine Frau ist in Lincoln geboren. Butch Gehring und sein Freund Chris Waits helfen den FBI-Agenten bei der Überwachung und Verhaftung ihres Nachbarn Ted Kaczynski. Im Auftrag des FBI sucht und findet Chris eine zweite Hütte von Ted
  angeblich dessen geheime Werkstatt für den Bombenbau.

 

David Gelernter
1949 geboren. Studierte an der State University of New York in Stony Brook. Gelernter zeigt frühes Interesse für Computer und betreibt zugleich Studien der jüdischen Religion. Da sein Vater Berater von Marvin Minsky war, beschäftigte Gelernter sich nicht mit „Künstlicher Intell
igenz“, sondern mit Parallell-Computing. Er schrieb eine verbreitete Programmiersprache für „Parallel processing“, die er „Linda“ taufte. Gelernter lehrt Computerwissenschaft an der Yale-University und ist Chefwissenschaftler der Firma „Mirror Worlds Technologies“ in New Haven, die Software für E-Commerce herstellt. Als Maler, Komponist und Autor von John Brockmans „Digerati“ will er das Verhältnis des Digitalen zum Realen in der Malerei, Plastik und Literatur ausloten. Berühmtheit erlangt Gelernter durch sein 1991 erschienenes Buch „Mirror Worlds“, in dem prophezeit, dass Computer und digitale Spiegelwelten aus Software „uns in eine Renaissance der humanen Welt führen“.

Am 24. April 1993 erhält Gelernter eine Briefbombe und wird schwer verletzt. Er verliert ein Auge und die rechte Hand. Seine Erfahrungen verarbeitet er in dem Buch „Drawing a life: Surviving the Unabomber“, in dem er eine kulturelle und politische Analyse der amerikanischen Gesellschaft von heute liefert und insbesondere die Presse kritisiert, dass sie Gewalt verharmlose und glorifiziere. In weiteren wertkonservativen Schriften, wie „1939: The lost World of the Fair“, übt er Zivilisationskritik vor allem an der libertären Gesinnung der linken Intelligenz, die alle traditionellen Werte gegen das Modell der Selbstverwirklichung abgeschafft habe. In seinen „59 Thesen zur Zukunft der Informationsgesellschaft“ (FAZ v. 15.06.2000) kritisiert er die Vorherrschaft von Software-Systemen á la Microsoft als fehlgeleitet und fordert dem Muster des menschlichen Gehirns nachgebaute Betriebssysteme.

 

Theodore John Kaczynski
Wurde am 22.Mai 1942 in Evergreen Park, einem Vorort von Chicago im Bunde
sstaat Illinois, geboren. Er beginnt im Herbst 1958 das Studium der Mathematik in Harvard. 1959 nimmt er als Versuchsperson an der „Multiform Assessment of Men“-Studie von Prof. Henry A. Murray teil. Zwischen 1963 - 1967 absolviert er an der University of Michigan in Ann Arbor seine Promotion. 1967 kommt es sowohl zu ersten psychiatrischen Konsultationen als auch zu ersten Pläne für ein ursprüngliches Leben in den Wäldern. Seine Anstellung als Assistenzprofessor am Department of Mathematics, in Berkeley kündigt Ted Kaczynski bereits 1969 und beginnt den Ausstieg. 1969-1970 schreibt er einige Texte über Technologie und Freiheit, die er zur Veröffentlichung an Zeitungen in Chicago und überregionale Magazine schickt, jedoch nicht gedruckt werden. 1971 pachten Ted und David Kaczynski ein kleines Landstück vier Meilen von Lincoln/ Montana entfernt, wo Ted sich eine Hütte baut, die weder fließendes Wasser noch Strom aufweist, und wo er mit dem Gewehr auf die Jagd geht, Fallen stellt und in einem kleinen Garten Möhren und Kartoffeln zieht.

In seiner Hütte protokolliert er in mehreren Journalen jede seiner Tätigkeiten und ausgedehnten Wanderungen auf über 40.000 Seiten. Auch vom Bombenbau ist dort zu lesen. Die Journale und die darin enthaltenen Selbstbezichtigungen dienen der Staatsanwaltschaft später als Hauptbelastungsmaterial. Seine Nachbarn Chris Waits und Butch Gehring sagen aus, dass Kaczynski bereits in den 70-er Jahren mit Explosivstoffen experimentiert habe. Ab 1991 erhält Kaczynski von einem Arzt „Trazadone“ verschrieben, zudem hat er Kontakt mit Psychiatern aufgenommen. Am 3. April 1996 wird er von FBI-Agenten in seiner Hütte verhaftet und wegen des Besitzes von Bombenteilen in Gewahr genommen. Am 1. Oktober 1996 wird er des Mordes an Thomas J. Mosser und vier weiterer Morde beschuldigt. Das Justizministerium verlangt die Beantragung der Todesstrafe. Zum Prozessbeginn am 5. Januar 1998 lehnt Kaczynski die Strategie seiner Verteidiger, auf psychische Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, ab und fordert einen politischen Prozess. Eine psychiatrische Untersuchung ergibt, dass Kaczynski an paranoider Verhaltensstörung leide und nicht fähig sei, sich selbst zu verteidigen. Unter Verzicht auf einen Prozess und eine Beweisaufnahme wird ein so genanntes „plea bargain“ ausgehandelt und Kaczynski zu vier Mal lebenslänglich plus 30 Jahre Zuchthaus verurteilt.

 

Henry A. Murray
Wurde 1893 geboren und studierte ab 1915 Biologie an der Harvard Universität, dann an der Medical School der Columbia Universität. 1927 setzt er sein Studium an der Cambridge Universität fort und erlangt einen Ph.D. in Bi
ochemie. 1928 wird Henry A. Murray zum Mitbegründer der Boston Psychoanalytic Society. Harvard Präsident Lowell ernennt ihn zum neuen Direktor der Harvard Psychological Clinic. 1934 entwickelt Murray mit der Malerin Christiana Morgan eine neue Analysemethode, den Thematic Apperception Test (TAT), der auf der Interpretation und Bewertung von gemalten Bildmotiven besteht. 1937 beobachtet Murray Hitler in Bayreuth, und 1943 erscheint eine 227 Seiten umfassende „Analyse der Persönlichkeit Adolf Hitlers, mit Vorhersagen seines zukünftigen Verhaltens und Empfehlungen für den Umgang mit ihm, jetzt und nach der Kapitulation Deutschlands“. Auch an den Nürnberger Prozessen nimmt Murray als Beobachter teil.

Während des zweiten Weltkriegs dient Murray im Army Medical Corps, wo er auch für ein neues Bewerberprüfungsprogramm für Rekruten des OSS Nachrichtendienstes und für Führungskräfte des Geheimdienstes verantwortlich ist. Ab 1949 nimmt Murray an den Macy-Konferenzen, den „moralischen Seminaren“, in New York teil. Zwischen 1958-62 wendet Murray sich, ausgerüstet mit neuer staatlicher Unterstützung, dem intensiven Studium des Verhaltens unter Stressbedingungen zu. Ziel ist es, alles über das Wesen, das Entstehen und die Veränderungsmöglichkeiten der menschlichen Persönlichkeit zu erforschen und zu systematisieren. Hieraus entstehen die späteren Assessment-Center. An den Testläufen mit Studenten der Harvard Universität, bei denen auch mit Drogen experimentiert wird, nimmt auch der Mathematikstudent Ted Kaczynski teil. Murray unterhält Kontakte zu den „Drogenpäpsten“ der Hippie-Bewegung, zu Timothy Leary und Aldous Huxley.

 

Norbert Wiener
Amerikanischer Mathematiker" Mathematiker und Begründer der Kybernetik. Wurde 1894 in Columbia, Mi
ssouri geboren und starb 18. März 1964 in Stockholm. Norbert Wieners Vater war Professor für Slawische Sprachen an der Harvard Universität. Der Sohn wurde vorwiegend zu Hause erzogen und galt als Wunderkind. 1903 trat er in die Ayer High School ein und schloss dort 1906 ab. Im Alter von 11 Jahren begann er am Tufts College Mathematik zu studieren und reichte mit 18 Jahren seine Dissertation über mathematische Logik ein. Danach forschte und studierte Wiener auf den verschiedenen Gebieten: Logik und Philosophie bei Russel und Hardy in Cambridge, Mathematik bei Hilbert, Husserl und Landau in Göttingen.

 

Sein interdisziplinäres Verständnis verhilft ihm dazu, Prinzipien in Mathematik, Technik und Gesellschaft unabhängig von ihrer historischen und fakultären Entwicklung zu erkennen. Ab 1919 forscht er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu stochastischen Prozessen (Brownsche Molekularbewegung), zur harmonischen Analyse, Potentialtheorie und Operatorenrechnung. Der zweite Weltkrieg bringt Wiener mit der Nachrichten- und Informationstechnik in Kontakt. Er arbeitete am Steuerungsproblem von Flakgeschützen, d.h. dem Problem der Vorhersage zukünftiger Flugpositionen, woraus sich eine Theorie über die Vorhersage von stationären Zeitreihen bildete. Dabei stieß Wiener auch auf die Problematik des Informationsgehaltes und die Informationstheorie im Allgemeinen. Die Analyse von Flugzeugbewegungen führte Wiener zu einer Art Systemanalyse, wobei das System aus der Maschine (Flugzeug) und dem Menschen (Pilot) besteht. Wiener erkennt, dass man aus der Analyse der Interaktion zwischen Flugzeug und Pilot einen Vorteil ziehen kann. Nach dem Krieg fasst er seine Forschungen in dem Buch „Kybernetik: Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine“ zusammen. Wiener war einer der zentralen Figuren der Macy-Konferenzen, und einer der Begründer der interdisziplinären Wissenschaft der Kybernetik.

 

Robert W. Taylor
Studierte Psychoakustik in Austin, Texas, und begann, angeregt durch Norbert Wieners Artikel „The Human Use of Human Beings“, sich zunächst für Hirnfo
rschung, später zunehmend für interaktive Computerforschung zu interessieren. Nach seiner Tätigkeit als Systemingenieur beim Pershing-Projekt leitete er als Wissenschaftsmanager das „NASA Headquarters Office of Advanced Research and Technology“, und finanzierte etwa die Arbeiten von Doug Engelbart am Stanford Research Institute, der dort u.a. die Computer-Maus entwickelte.

Zur ARPA (Advanced Research Projects Agency) kommt Taylor durch seine Mitarbeit in einem „ARPA Kommitee“, das sich aus Geldgebern für die Computerforschung zusammensetzt. 1965 wird Taylor Stellvertretender Direktor von ARPA. 1968 verfasst er mit J. R. Licklider ein Grundsatzpapier mit dem Titel „The Computer as a Communication Device“, der in der Zeitschrift „Science and Technology“ veröffentlicht wird. Daraus entwickelt sich die Idee und Realisierung des ARPANet, ein militärischer Vorläufer des Internet. 1969 verlässt Taylor ARPA und geht nach Harvard, wo er für Sutherland und Evans ein Labor zusammenorganisiert, wo das statistische Material der Behaviorismus-Experimente ausgewertet wird. Seit Juni 1970 arbeitet Robert W. Taylor am „Xerox Palo Alto Research Center“, und führt hier das computerwissenschaftliche Labor, wo 1973 mit Hilfe von Bob Metcalfe das ETHERNET entwickelt wird. Aus dem Zusammenschluss von ARPANet und Ethernet entsteht das Internet.

 

INTERVIEW MIT LUTZ DAMMBECK

Eine Hütte im Wald ist nicht das Draußen, sondern Teil des Systems“

Wann sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über den Unabomber zu drehen?

Das ergab sich während der Arbeit an Recherchen zum Thema Kunst und neue Technologien. Vor etwa 10 bis 15 Jahren tauchten erstmalig Begriffe wie Multimedia, Virtualität usw. im Kunstkontext auf. Da ich mit Expanded Cinema und Multimedia „sozialisiert“ worden bin, hatte mich das sehr interessiert. Bis dahin war der Computer für mich nur ein triviales Arbeitsgerät. Auf der Suche nach Protagonisten für den Film stieß ich auf den amerikanischen Literaturagenten John Brockman, einen großen Kommunikator, der seine Fäden sowohl in die Neurophysiologie und nach Harvard als auch in die Bankenwelt und Kunstszene New Yorks gesponnen hatte und sogar Kontakte zur LSD-Szene besaß. Ich war fasziniert von dieser Figur und habe alle Interviews mit Brockman im Netz gelesen.
Gegen Ende 2001 bin ich dann in die USA gereist und habe mit ihm ein Vorgespräch geführt. Über Brockman habe ich dann Stuart Brand und andere Leute kennen gelernt. Es ergab sich auch ein Link zu John Perry Barlow, den Songschreiber der Grateful Dead und Gründungsmitglied der „Electronic Frontier Foundation“. Ich hatte ja nicht gewusst, wie eng das alles miteinander zusammenhängt und wie klein diese Welt ist. Ted Kaczynski tauchte schließlich bei der Internet-Recherche über John Brockman auf. Und zwar als sich herausstellte, dass Brockman als Literaturagent auch David Gelernter vertritt, der ja eines der Opfer des Unabomber gewesen ist. Anfangs war ich skeptisch wegen des damaligen Netzhypes um den „Unabomber“, und ich fragte mich, ob die Figur wirklich existiert.

Worum ging es Ihnen in dem Film?

Man kann Leute wie David Gelernter oder Marvin Minsky, einen der Pioniere der AI (Artificial Intelligence), und deren technokratisches Weltbild irgendwie verstehen. Sie wollten Dinge wie Cyberspace, Virtualität und künstliche Intelligenz einfach mitgestalten. Vor der Folie der düsteren fünfziger und sechziger Jahre waren Computer und die ersten technischen Netzwerke etwas sehr Glamouröses, da haben die sich als Insider einfach ein bisschen wie der liebe Gott gefühlt. Nun haben sich die Dinge aber anders und weiterentwickelt und man muss sich fragen, ob die technizistischen Utopien und abstrakten Ideen, die von diesen Leuten stammen, tatsächlich realisiert werden sollten. Oder ob das eher nur imaginäre und abstrakte Gebilde sein sollten, wie die höhere Mathematik? In einem Brief bezeichnet Ted Kaczynski ja die höhere Mathematik als „prank“, und die Mathematiker als „Künstler“.
Kaczynski hat mit seinen Anschlägen sicher einen sensiblen Kernbereich unserer gegenwärtigen Wettbewerbsgesellschaft berührt. Zum Zeitpunkt, als Clinton an der Regierung war, stellte man zum ersten Mal fest, wie angreifbar die Netze etwa beim elektronischen Handel oder beim Geldtransfer sind. Man musste sie also sicherer machen. Möglicherweise kam der Unabomber einigen Leute ganz gelegen, die eine Legitimation brauchten, um auf der Gesetzesebene Reglementierungen und Verbote durchzuboxen, um das Net „safe“ zu machen.
Zu jener Zeit begann auch die Parzellierung des Netzes. Bis dahin war das Internet ein utopischer Freiraum gewesen, eine Spielwiese für Künstler und Piraten jedweder Art, man denke an Hakim Beys T.A.Z. (Temporäre Autonome Zonen). Der Netzraum schien vollkommen unreglementiert - und irgendwann war es damit einfach vorbei. Paul Garrin hat ja mit seinem „Namespace“-Projekt die Gesetzgebung in den USA kritisch verfolgt. Er hat rausbekommen, wem das Netz eigentlich gehört und welche Interessen da vertreten werden, wer im Board of Trustees dieser ganzen privaten und halbprivaten Internet-Firmen sitzt: nämlich Regierungsvertreter und ehemalige CIA-Officers.

Was hat Sie an der Person Ted Kaczynskis besonders interessiert?

Seine Fundamentalopposition. Ich hätte ja den Film auch ohne ihn machen können, indem ich mich nur mit den Leuten befasst hätte, die an verschiedenen Punkten im Bereich Computerwissenschaft etwas wichtiges gemacht haben, beim Militär, in der Alternativkultur, in der Kunst- und Wissenschaftsszene usw. Aber diese Fundamentalkritik, die durch Kaczynski vorgetragen wird und mit seiner 68er-Biografie zusammenhängt, ist ja nicht bloß theoretisch, sondern wurde von ihm mit einer bestimmten Konsequenz auch gelebt.
Als ich versuchte, Kontakt mit ihm aufzunehmen über eine Konzeptkünstlerin aus Boston, geriet ich auch an einige Organisatoren und Ideengeber der WTO-Proteste 1999 in Seattle. Die kommen aus einer großen Punk-Hippie-Kommune in der Nähe von Seattle, und ich merkte, dass Kaczynski für diese Vorläufer der ATTAC-Szene eine Rolle spielt und keine bloße Internet-Schimäre ist. Stuart Brand stellt ihn etwa auf eine Diskussionsebene mit Bill Joy. Ich besorgte mir dann im Internet das „Unabomber-Manifest“ und begann mit der Korrespondenz.

Wie haben Sie die Korrespondenz mit Ted Kaczynski, der zu lebenslänglicher Haft verurteilt im Gefängnis sitzt, wahrgenommen?

Ich wollte bestimmte Informationen von Dritten, die ich erhalten hatte, mit ihm abgleichen. Also stellte ich ihm in den Briefen viele Fragen. Er ist in seinen Antworten aber eigentlich bloß auf das eingegangen, was ihn interessierte. Natürlich wollte ich auch gerne hinfahren und mit ihm ein Interview filmen, da brieflich immer einige offene Frage bleiben. Das hat er aber stets abgelehnt. Er gibt keine Interviews. Besuchen dürfen ihn bloß Journalisten und die Familie - beide lehnt er jedoch ab. Er steht aber wohl mit einer Vielzahl von Leuten in Korrespondenz. Ich denke, dass er am Tag bestimmt 50-60 Briefe kriegt. Er sieht sich als Intellektueller und er weiß auch eine Menge. Ich glaube, dass er auch autoritär sein kann, ein bisschen besserwisserisch ist er wohl auch.

Wie erklären Sie sich die Weigerung ihrer Interviewpartner im Film, über Kaczynski zu sprechen?

Wenn man nach Harvard oder zum MIT (Massachusetts Institute of Technology) fährt, dann findet man dort nicht nur eine Herrschaftsarchitektur vor, sondern auch einen Herrschaftsgestus. Die fühlen sich dort als Elite. Dort gibt es eine Nähe zur Macht, das merkt man sofort. Und wenn jemand aussteigt - dann ist das wie früher bei Hofe, wenn sich jemand aus dem Stand entfernt hatte: er wird fallen gelassen. Natürlich insbesondere wenn es um „revolutionäre“ Hintergründe geht. Kaczynski, der zur Generation um Brockman, Brand oder Taylor gehörte, hatte die Fronten gewechselt und galt insofern als Verräter und Nestbeschmutzer.

 Als weiteres psychologisches Motiv vorstellbar wäre auch ein schlechtes Gewissen. Das Extreme und Radikale, das sich durch Kaczynski ausdrückt, wird dabei tiefenpsychologisch abgespalten und weggesperrt als das eigene Böse. Die meisten Utopien der „dritten Kultur“ von Brockman, womit die Versöhnung von Geistes- und Naturwissenschaft durch Technologie gemeint ist, haben sich ja nicht erfüllt. Und nicht zuletzt: Kaczynski war als Student in Harvard ja „guinea pig“, also eine Testperson bei psychologischen Experimenten, auch mit Drogen, die nach heutigen Maßstäben unter „Missbrauch der Psychiatrie“ fallen würden. Vielleicht wurde hier ein offener Nerv des amerikanischen Selbstverständnisses getroffen, möglicherweise direkter als im „Manchurian Candidate“ von John Frankenheimer oder etwa im aktuellen Remake von Jonathan Demme.

Was haben Institutionen wie Medien, Militär, Wissenschaft und Kunst, die als Verbindungsfäden im Film zusammen laufen, miteinander zu tun?

Ehe eine Maschine gebaut wird, gibt es meistens einen philosophischen Überbau und als Vorlauf eine Utopie, die aus der Literatur, der Philosophie oder der bildenden Kunst stammt. Das ist der Humus und das geistige Klima, ehe Ingenieure zum Messblatt greifen können. Die Zeit muss reif sein für die Verwirklichung einer Idee. In diesem Fall geht das zurück auf die Vorformen von Kybernetik und Systemtheorie, auf den Wiener Kreis. Mir kam es letztlich auch darauf an, ein Gespür und Gefühl für die historische Tiefendimension einer technologischen Entwicklung zu schaffen, die nicht nur aus aktueller Oberfläche besteht. In den USA gibt es eine große Geschichtsvergessenheit, auch was das Internet und seine Herkunft betrifft. In einem der Vorgespräche erklärte mir ein Computerwissenschaftler, der an der Universität von Illinois studiert hatte, dass z.B. Heinz von Foerster, der Vater der Kybernetik, mit dem es ein Interview im Film gibt, vielen heutigen Studenten der Universität von Illinois, wo er sein berühmtes BCL (Biological Computer Laboratory) hatte, nicht mehr bekannt ist. Er sagte, der ist „not hot“.

Inwieweit knüpfen Sie als Künstler mit dem Film an Ihre früheren Arbeiten an?

Ich arbeite ja mit mehreren künstlerischen Mitteln, Recherche und Dokumentarfilm gehören dazu wie die bildende Kunst. Bereits das Herakles-Konzept von 1977 drehte sich darum, wie sich jemand einer Norm entzieht und Widerstand leistet. Das Grimmsche Märchen und der Herakles-Text von Heiner Müller sind dafür ein gutes Muster: Herakles findet ja heraus, indem er der Blutspur der Hydra folgt, dass er sich in der Hydra selbst befindet und sie auch nur durch ihn leben kann. Dass sich also jemand inmitten eines Systems befindet, aus dem es kein Entkommen gibt, beschreibt ja auch die Tragik von dem Kaczynski. Denn der hat einfach nicht begriffen, dass es bei dem System, mit dem er es zu tun hat, kein „Draußen“ gibt. Auch eine Hütte im Wald ist nicht das Draußen, sondern Teil des Systems.

 

STAB/ CREDITS:

Buch und Regie: LUTZ DAMMBECK
]
Kamera: THOMAS PLENERT, ISTVAN IMREH, JAMES CARMAN
Kameraassistenz: FLORIAN WIMMER, FRITZ BARTHEL
Recherche und Aufnahmeleitung: USA DIETMAR POST, RICA LINDERS
Übersetzung: LUCINDA RENNISON, EDNA McCOWN, PETER ORTMANN
Transkription: SVANTJE BUSSMANN, JUDITH LEWIS, SOPHIE PLESSING
Textberatung: JÜRGEN VERDOFSKY
Sprecher: EVA MATTES, THOMAS VOGT
Schnitt: MARGOT NEUBERT-MARIC
Support Postproduktion: ULLRICH BACKA/AVT MEDIA
Ton: KARL LAABS
Musik und Sound Design: JÖRG U. LENSING
Mischung: MARTIN STEYER
Produktionsleitung: SWR JOCHEN DICKBERTEL
Produktionsleitung: USA SABINE SCHENK
Faz: DAS WERK BERLIN
Kopierwerk: GEYER BERLIN
Rechtsberatung: ANDREAS MAIER
Redaktion: MARTINA ZÖLLNER/SWR ANNE BAUMANN/ARTE

EINE LUTZ DAMMBECK FILMPRODUKTION
]
in Co-Produktion mit dem SWR in Zusammenarbeit mit Arte

Mit Unterstützung von:
FilmFörderung Hamburg GmbH

Filmbüro Nordrhein-Westfalen e.V.
MFG Filmförderung Baden-Württemberg GmbH
Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH
Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst
Kulturelle Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern
Media Desk Brüssel
BKM – Filmförderung des Bundes

LUTZ DAMMBECK: BUCH, REGIE UND PRODUKTION
Lutz Dammbeck, geb. 1948 in Leipzig. Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 1986 Übersiedlung mit der Fotografin Karin Plessing und dem gemeinsamen Kind Sophie nach Hamburg. Maler und Filmemacher, seit 1999 Leiter einer Medienklasse an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Das Buch Das Netz. Die Konstruktion des Unabombers ist Teil seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen von Kunst, Macht, Wissenschaft und Philosophie, die er seit 1983 mit Bildern, Collagen, Filmen und Installationen in einer Art Gesatkunstwerk mit dem Titel HERAKLES KONZEPT reflektiert. Neben dem 2003 fertiggestellten Dokumentarfilm “Das Netz“ (SWR/Arte) entstand für die Ausstellung “Berlin/Moskau – Moskau/Berlin”, 2003/2004 im Martin-Gropius-Bau Berlin, auch die Installation “Herakles Konzept: cabin” mit einem Nachbau der Hütte von Ted Kaczynski. Zu Film und Buch gibt es eine Website: http://www.t-h-e-n-e-t.com Filme:

Filme (Auswahl)
als Autor, Regisseur, Gestalter/Animator und Produzent

1979 DER MOND Animationsfilm für DEFA Studio Dresden
(Mentor Otto Sacher)
1979 METAMORPHOSEN I Experimentalfilm - Eigenproduktion
DER SCHNEIDER VON ULM Animationsfilm für DEFA Studio
Babelsberg
1981 EINMART Animationsfilm für DEFA Studio Dresden
HOMMAGE A LA SARRAZ Experimentalfilm - Eigenproduktion
1982 DAS LUFTSCHIFF Spielfilm (Regie Rainer Simon) NON - Camera
Animation, DEFA Studio für Spielfilme Babelsberg
1983 DIE ENTDECKUNG Animationsfilm für DEFA Studio Dresden
1985 DIE FLUT Animationsfilm für DEFA Studio Dresden
1984/86 1. LEIPZIGER HERBSTSALON Doku-Fragment - Eigenproduktion
1988 DER MALER KAM AUS FREMDEM LAND...TV - Dokumentation für SWF/WDR
1989/90 HERAKLES HÖHLE Experimentalfilm für SWF
1993 ZEIT DER GÖTTER Dokumentarfilm für SWF
1993 HERZOG ERNST Animationsfilm für WDR/arte
1994 DER REEPERBAHNMALER TV-Dokumentation für MDR
1996 DÜRERS ERBEN Dokumentarfilm für MDR/arte
1998 DAS MEISTERSPIEL Dokumentarfilm für WDR
2003 DAS NETZ Dokumentarfilm für SWR/arte

Mehrfacher Preisträger, Beteiligung mit Filmen an den nationalen Filmfestivals der ehemaligen DDR und der BRD und an den internationalen Film- und Videofestivals in Berlin, Venedig, Oberhausen, München, Osnabrück, Chicago, New York, Annecy, Brüssel, Montreal, Kairo, Split

Preise:
Die Entdeckung - Goldener Spatz, Gera
Herzog Ernst - Prix Danube 1995 Bratislava, Goldener Spatz Deutsches Kinderfilm & Fernseh-Festival 1995, Certificate of Merith 5th Cairo International Film Festival for Children, Prädikat „Besonders Wertvoll“ FBW
Zeit der Götter - Preis der IG-Medien 36. Internationales Dokumentar- und Kurzfilmfestival Leipzig 1993, Prädikat „Besonders Wertvoll“ FBW
Das Meisterspiel - Silberne Taube des 41. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm 1999, Wilhelm Dieterle Filmpreis 1999
Das Netz - EMAF Award European Media Art Festival Osnabrück 2004

 

DAS NETZ GEHT AUF TOUR

21.11.04
Dresden
Forum: „Im Netz gefangen – Auf dem Weg in eine elektronische Bewusstseinskultur?“ Forum zu DAS NETZ mit Lutz Dammbeck, Werner Jauk, Dieter Daniels, Andreas Broeckmann.
Eine Kooperation der Hochschule für Bildende Künste Dresden mit der Trans-Media-Akade-mie Hellerau e.V.

8.01.2005
Köln
Ort: Museum Ludwig
Lutz Dammbeck im Gespräch mit dem Filmkritiker Georg Seeßlen und Kaspar König (Direktor Museum Köln)

10.1.05
Hamburg
Ort: N.N.
Lutz Dammbeck im Gespräch mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Hinderk M. Emrich (angefragt), Medizinische Hochschule Hannover, Leiter der Abteilung Psychiatrie, und Jörg Schöning, Filmredakteur, Szene-Hamburg. Koop.-Partner: Edition Nautilus

11.01.2005
Frankfurt a.M.
Ort: Deutsches Filmmuseum
Lutz Dammbeck im Gespräch mit John Zerzan, Künstler, Zivilisationskritiker und Vordenker des Primitivismus

12.01.2005
Berlin
Ort: HAU 2
Lutz Dammbeck im Gespräch mit John Zerzan, Künstler, Zivilisationskritiker und Vordenker des Primitivismus. Eröffnungsveranstaltung der „globale05“ (Festival von attac); Koop.-Partner: attac + Bundeszentrale für politische Bildung

17.01.2005
Berlin
Ort: Akademie der Künste
Akademie-Filmgespräch: Lutz Dammbeck und Prof. Dr. Siegfried Zielinski,
Academy of Arts & the Media, Köln

18.01.05
Leipzig
Ort:UT Connewitz
Podiumsdiskussion mit Rüdiger Steinmetz (Moderation), Lutz Dammbeck, Ralf Urban Bühler, Wilfried Morawetz, Wolfgang Enard.

 

AM 5. JANUAR 2005 ERSCHEINT DAS BUCH ZUM FILM
IN DER EDITION NAUTILUS
:

Lutz Dammbeck: Das Netz - Die Konstruktion des Unabombers
Mit einem Anhang: »Die Industrielle Gesellschaft und Ihre Zukunft«
(Unabomber-Manifest) von FC

In seinem rasanten Laptop-Roadmovie ist der Autor den Schwindel erregenden Verbindungen von Systemtheorie, Kybernetik, Militär und Bewusstseinskontrolle auf der Spur! Den spannenden Recherchen zu Ursprüngen und Voraussetzungen weltweit vernetzter Systeme ist eine deutsche Übersetzung des so genannten Unabomber-Manifests angehängt.

Die weltweite Vernetzung von Computern, Institutionen, Menschen ist längst Realität. In seinem Film Das Netz, aus dem das vorliegende Buch hervorgegangen ist, hat Lutz Dammbeck den Ursprüngen dieser Entwicklung nachgespürt. Einer der bekanntesten Gegner dieser technologischen Gesellschaft ist der so genannte Unabomber, der von 1978 bis 1995 durch eine Serie von Bombenanschlägen auf namhafte Wissenschaftler die USA erschütterte.

Dammbeck hat beeindruckende Dokumente über die Entwicklung der Kybernetik, LSD-Versuche, Verhaltensforschung, militärische Verteidigungsstrategien und das Institut für Sozialforschung zutage gefördert. Er hat Interviews mit den Protagonisten der Cyber-Elite geführt, die im Buch in längeren und kommentierten Fassungen nachzulesen sind. Diesen Stimmen stellt er Briefe des hochbegabten ehemaligen Harvard-Mathematikprofessors Ted Kaczynski entgegen, der 1996 als mutmaßlicher Unabomber verhaftet und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Im Anhang des Buches ist zum ersten Mal in deutscher Übersetzung der als Unabomber-Manifest bekannt gewordene Text Die Industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft abgedruckt, basierend auf einer von Ted Kaczynski korrigierten und autorisierten Fassung, die er 2003 Lutz Dammbeck zur Verfügung gestellt hat. Außerdem liegen erstmals eine Chronologie der Anschläge, der Fahndung und der Gerichtsverfahren sowie die Biographie Kaczynskis vor.

Originalveröffentlichung
192 Seiten
mit ca. 38 S-W-Fotos
a. € (D) 10,90 ISBN 3-89401-453-9
Edition Nautilus, Alte Holstenstr. 22, D-21031 Hamburg

Tel. 040- 721 35 36, Fax. 040 - 721 83 99.
Mail presse@edition-nautilus.de