Vorlauf

Lutz Dammbeck
Das Netz und eine Welt in höchster Auflösung

Als ich im Jahr 2000 mit ersten Recherchen begann, waren die sogenannte „neue Ökonomie“, die Dotcoms, und die Aktienkurse auf einem Höhepunkt. "Computing", "Networking" und der "Cyberspace" schienen alles zu verändern, nicht nur Kunst und Lebensweisen, man sprach sogar von einer neuen und digitalen Demokratie, digitaler Boheme und ganz neuen Wirtschaftsformen. Marx schien passé. Alles schien sich nun durch die unaufhaltsam erscheinende Digitalisierung zu verändern, die sich wie eine gewaltige Druckwelle aufbaute.

1994 hatte der EU-Kommissar Bangemann den Europäischen Informations- Superhighway ausgerufen, und dieser Ruf, verstärkt mit Geldspritzen und Fördergeldern, wurde auch in Deutschland gehört. Es wurden zu dieser Zeit viele Filme gemacht, die unablässig die Oberflächen dieser Phänomene beschrieben und zugleich polierten, aber dem Kern der Dinge fern blieben. Mich interessierte etwas Anderes: Die Beginnzeit.

Am Anfang meiner Recherchen stand daher die Frage: Woher kommt der Gedanke, das Gehirn und der Mensch seien eine Maschine?  Was veranlasste Wissenschaftler zum Entwickeln von Menschen-Maschinen, oder besser gesagt: einer Mensch-Maschine-Symbiosis, von der das WEB 2.0. ja nur eine der aktuellen Anwendungen war? Was waren der Antrieb und die Intentionen für ein wissenschaftliches Weltbild, das auf Rechnen, Zählen, Messen, Kontrollieren insistierte und das Verbessern des Leibes, und der Natur zum Ziel hatte? Und wie weit mußte man zurückgehen, um zum Ursprung dieser Ideen zu gelangen? Bis zu Cusanus, dem Barock, Leibniz, Goethe und der Hermeneutik, Descartes oder Newton?

Ich entschied mich bei den legendären Macy-Konferenzen anzusetzen, die zwischen 1946 und 1953 stattfanden - und bei der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung während des zweiten Weltkriegs und in der darauf folgenden Zeit des Kalten Krieges. Denn auch für das, worüber ich sprechen wollte, war der Krieg der Vater aller Dinge.

Mein Film sollte die Utopie von einer neuen Weltordnung beschreiben, deren Fundamente mit Hilfe einer neuen Wissenschaft errichtet wurden, die zugleich interdisziplinär wie anti-metaphysisch war. Systemtheorie, Kybernetik, Mathematik, Medienkunst, Logik, Psychologie und die neuen Sozialwissenschaften waren die Werkzeuge für das Modell einer neuen Welt als offenem System. Dieses System sollte keine keine Grenzen haben – eine mit technischen und biogenetischen Hilfsmitteln gebaute Unendlichkeit aus künstlichen neuronalen Netzen. In dieser Welt würde die Sprache nun zirkulär werden, aus Wahrheit würde Wahrscheinlichkeit, Realität zur Konstruktion und Körper würden Teile von Maschinen. Ich wollte versuchen, in meinem Film die Konstrukteure, Maschinisten und Agenten dieses Systems zum Sprechen bringen. Ebenso wie einen Mathematiker, der versuchte mit Terror die Maschinen zu stoppen.